Junge geben Europa ein Gesicht
"So geht es nicht weiter in Europa, es muss sich etwas ändern." – Auf diesen Satz als Lehre aus dem Brexit können sich links und rechts der politischen Mitte alle einigen.
Was geändert werden soll – und vor allem wie –, darüber wird in Brüssel und Berlin gerade heftig gestritten.
Was Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorschlägt, lässt niemanden kalt. Er will die EU-Kommission entmachten, dafür sollten die Regierungen enger kooperieren. "Wenn sie (die Kommission, Anm.) nicht mittut, dann nehmen wir die Sache selbst in die Hand, lösen die Probleme eben zwischen den Regierungen", sagte Schäuble mehreren deutschen Medien. Das Zugpferd eines "Europa der Regierungen" sollten Deutschland und Frankreich bilden. Schäuble will eine Art Kerneuropa ohne EU-Institutionen. Wer – außer Berlin und Paris – diesen Kern bilden sollten, sagte er nicht. Wenn er allerdings an die EU-Gründungsmitglieder denkt (Deutschland, Frankreich, Benelux-Staaten, Italien), dann dürften die Niederlande nicht mehr dabei sein. Die Regierung in Den Haag, attackiert vom Rechtspopulisten Geert Wilders, will kein enges Bündnis.
Österreich strebte immer an, zum Kern gehören zu wollen. Derzeit ist das aber offen, die Koalition muss vorerst einmal die Oexit-Forderung der FPÖ abwehren.
Juncker im Visier
In der EU-Kommission reagiert man offiziell nicht auf den Schäuble-Vorschlag und auch nicht darauf, dass die CDU ständig gegen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stichelt und ihn zum Rücktritt auffordert. Die Sunday Times zitierte einen deutschen Minister ohne Namensnennung, der über einen größer werdenden Rücktrittsdruck auf Juncker spricht. Dieser habe immer wieder gegen das gemeinsame Interesse verstoßen, und seine Reaktionen auf das britische Referendum waren sehr negativ, wird der Minister zitiert. Kanzlerin Angela Merkel betrachte Juncker mittlerweile als "Teil des Problems", heißt es in dem britischen Blatt.
Als Gegenentwurf zu den Schäuble-Ideen verstehen Parlamentspräsident Martin Schulz und SPD-Chef Sigmar Gabriel ihren "Zehn-Punkte-Plan für einen Neustart Europas". Ziel des Planes ist eine Stärkung der Kommission sowie ein Europa-Parlament mit einer zweiten Kammer, in der die Länder vertreten sind. Beide wollen mehr Investitionen, um die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen sowie mehr Europa für die innere und äußere Sicherheit.
Zukunft für die Jungen
Schulz hat die Zeichen der Zeit nach dem Brexit erkannt: "Ich will ein Europa, in dem die jungen Menschen eine Zukunft haben", sagte er am Wochenende in Berlin.
Im Blick hat er die jungen Demonstranten in London, die sich nicht von der EU verabschieden wollen, die Europa-Fahne im Gesicht tragen, für offene Grenzen, Jobs, leistbare Wohnungen, Erasmus-Stipendien und einen vereinten Kontinent streiten.
"Wir sollten vielleicht doch mehr auf die Jungen hören, als über den Stabilitäts- und Fiskalpakt zu streiten", sagt zerknirscht ein französischer EU-Abgeordneter von der konservativen Partei.