Junckers Flüchtlingsplan
Es war eine Rede, die niemanden kaltließ und große internationale Aufmerksamkeit brachte: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker appellierte im Europäischen Parlament an Abgeordnete und Regierungschefs in der Flüchtlingskrise "Herz und Wagemut" zu zeigen, nationalen Egoismus hintanzuhalten und sich des europäischen historischen Erbes zu erinnern. Jetzt ist nicht die Zeit des Business-as-Usual, es ist die Stunde für mehr Ehrlichkeit", sagte Juncker und verschwieg nicht, dass "die EU in keinem guten Zustand ist. Es fehlt an Europa und es fehlt an Union in dieser EU".
Sein Auftritt in Straßburg und die lebendige Debatte war mehr als eine Pflichtübung für Juncker. Er skizzierte sämtliche Aufgaben der EU – von Migration bis zum verstärkten Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. "Das ist oberste Priorität."
Im Zentrum stand aber sein Plan für eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die wichtigsten Punkte, über die der KURIER schon berichtete, sind:
Verpflichtende Quoten Die Kommission will 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland, Italien und Ungarn fair auf alle Länder verteilen. Noch gibt es Widerstand aus östlichen Staaten, Juncker hofft, durch Dialog die Quoten-Gegner umzustimmen. Hand in Hand mit den Quoten gehen einheitliche Asylverfahren sowie rasche Abschiebungen, wenn ein Bewerber kein Recht auf Asyl hat.
Strafmechanismus Länder, die die Quote nicht erfüllen, können sich zumindest für ein Jahr freikaufen.
Recht auf Arbeit Asylwerber sollen sofort arbeiten dürfen. Juncker: "Das ist eine Frage der menschlichen Würde." Die Durchsetzung wird schwierig, weil darüber die Mitgliedsländer entscheiden. Ein EU-Gesetz dazu gibt es noch nicht.
Legale Einwanderung Aus demografischen Gründen soll die legale Einwanderung erleichtert werden. 2016 will die Kommission einen konkreten Vorschlag unterbreiten. Noch entscheiden die nationalen Regierungen über Migrationsfragen.
Strenge Kontrollen der EU-Außengrenze Frontex soll mehr Mitarbeiter und mehr Geld für einen effizienten Grenzschutz bekommen. Die Mittelmeer-Mission gegen Schlepper wurde auf neun Milliarden Euro aufgestockt.
Sichere Drittstaaten Alle Westbalkan-Länder und die Türkei werden als "sicher" eingestuft. Mitgliedsländer werden sich an diese Liste halten, weil es auch in ihrem Interesse ist. Asylwerber können in diese Staaten sofort zurückgeschickt werden.
Hilfen für Afrika Ein Fonds dotiert mit 1,8 Milliarden Euro soll die Wirtschaftschaftsbeziehungen zwischen der EU und afrikanischen Ländern ausbauen. Unternehmen sind daran interessiert.
Nächste Schritte Am Montag treffen sich die EU-Innenminister. Sie sollen die Quotenregelung und andere Vorschläge der Kommission formal beschließen. Auch ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs ist wahrscheinlich. Merkel und Faymann drängen darauf.
Am Samstag ist es so weit. Dann hat Angela Merkel geschafft, wovon manch anderer CDU-Chef träumte: Am 12. September steht die 61-Jährige um einen Tag länger an der Spitze der Partei als jener Mann, der die CDU mitbegründet hat – Merkel überholt Konrad Adenauer, den Übervater der Partei.
Denn der Druck, der auf den Deutschen lastet, ist groß – die Länder stöhnen unter der steigenden Belastung durch den Flüchtlingsstrom, aus Berlin und Nordrhein-Westfalen kamen erste Misstöne, was die große Aufnahmebereitschaft Deutschlands angeht; man habe kaum mehr Kapazitäten. Aus München werden bereits Engpässe bei Betten und Matratzen gemeldet.
Merkel mahnt ihre Staatschef-Kollegen deshalb zu Solidarität, ohne die Deutschen zum Sündenbock zu machen: „Auch in der Euro-Krise haben wir nicht immer alle zusammengestanden, sondern da war Deutschland manchmal ganz schön alleine“, sagte sie. Dass sie mit ihrem Fordern Gefahr läuft, aus der beliebten „Übermama“ wieder zur ungeliebten, sturen Verwalterin zu werden, scheint ihr dabei recht egal zu sein – vielleicht hält sie es auch hier mit Adenauer, der sein eigenes Tun zwar immer wohl kalkulierte, aber dabei stets unprätentiös blieb. „Wir müssen jetzt einfach anpacken“, sagte sie – denn: „Wir können nur gewinnen.“