Politik/Ausland

Juncker: "Flüchtlingsstrom muss gebremst werden"

Herbststürme fegen über die Balkanroute, Kinder schlafen im Schlamm und Flüchtlinge marschieren frierend durch Wälder – diese Bilder findet Jean-Claude Juncker unerträglich, und er möchte sie nie wieder sehen.

Deswegen ruft er in einer dramatischen Rede am Mittwoch im Europäischen Parlament in Straßburg alle EU-Länder auf, Flüchtlinge menschlich zu behandeln und gleichzeitig alle EU-Beschlüsse umzusetzen: Hotspots, Unterkünfte, Mitarbeiter für Frontex zur Verfügung stellen und Schutzsuchende fair zu verteilen. "Jeder Tag zählt."

Eindringlich verlangte der Kommissionspräsident, Flüchtlinge ausnahmslos zu registrieren und sie zu informieren. "Keine Registrierung, keine Rechte für Flüchtlinge", sagte Juncker und fügte hinzu: "Auch Flüchtlinge haben Verpflichtungen." Damit meinte er, sie könnten nicht automatisch in ihr Wunschland reisen.

Unterricht für Kinder

Den Kritikern eines Aktionsplanes mit der Türkei entgegnete der Kommissionschef, dass ihre Einwände in der aktuellen Situation "nichts bringen würden", auch wenn er ihre Sorge an rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Defiziten in der Türkei teile. Was zähle, sei das Bremsen des Flüchtlingsandranges in die EU – und da hatte Juncker Neues zu vermelden: "Die Türkei ist einverstanden, dass Flüchtlinge in der Türkei bleiben, und dass sich kein neuer Flüchtlingsstrom in Bewegung setzt." Die Türkei sei auch bereit, soziale Dienstleistungen für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, etwa Unterricht.

Drei Milliarden Euro will Ankara unter anderem von der EU, Geld, das es nur zu einem geringen Teil im EU-Budget gibt. 250 Millionen Euro sind es lediglich, den Rest müssen die Mitgliedsländer aufbringen.

Sinn und Zweck der Kooperation mit der Türkei ist, die Flüchtlinge aus Syrien in der Region zu halten, um nach Ende des Bürgerkrieges wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. Ob das so schnell möglich sein wird, bezweifeln viele. "Die Situation wird sich leider noch verschlechtern", prognostiziert EU-Ratspräsident Donald Tusk. Eine neue Welle syrischer Kriegsflüchtlinge sei durch die russischen Angriffe zu erwarten.

In der anschließenden Debatte gab es viele Klagen am Zustand der EU, Kritik an nationalen Egoismen und am Fehlen gemeinsamer Lösungen. "Am Balkan wird brutal sichtbar, auch politisch, wie besorgniserregend der Zustand der EU ist", erklärte Parlamentspräsident Martin Schulz.

Kritik gab es an der Performance von Tusk. Er müsse intensiver die Mitgliedsländer anhalten, Vereinbarungen termingerecht umzusetzen und EU-Beschlüsse einzuhalten, sagte selbst ein Parteifreund, nämlich der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber.

Sanktionen

Weil etliche östliche Länder nicht bereit sind, sich solidarisch an einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik zu beteiligen, werden Forderungen nach Sanktionen immer lauter. Jetzt verlangt sogar Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem, Staaten Mittel aus EU-Fördertöpfen zu sperren, wenn sie die Aufnahme von Asylbewerbern verweigern.

Für Unmut sorgt noch immer Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbàn, der sich zuletzt beim Brüsseler Treffen zur Lösung der Probleme auf der Balkanroute als "Beobachter" beschrieb.

Das Ausklinken etlicher Regierungen aus der gemeinsamen europäischen Verantwortung wurde von Schulz, Juncker und etlichen Abgeordneten heftig beklagt: Es sei "gespenstisch", fasste Schulz die Atmosphäre in der EU zusammen.