Jemen: Ein Krieg, den die Welt übersieht, eskaliert
Von Armin Arbeiter
Bombardierte Krankenhäuser, Hungersnöte, Tausende Tote. Während die Augen der Weltöffentlichkeit auf Aleppo gerichtet sind, eskaliert im Süden der arabischen Halbinsel erneut ein Konflikt, dessen Gräuel dem syrischen Bürgerkrieg um nichts nachstehen. Im Jemen liefern sich die schiitischen Houthi-Rebellen seit Jahren erbitterte Kämpfe mit den sunnitischen Regierungstruppen und deren Unterstützern. Seit März 2015 bombardiert eine Militärkoalition aus arabischen Staaten, die von Saudi-Arabien geführt wird, die Rebellen mit Kampfjets.
Besonders hart treffen die Luftangriffe die Hauptstadt Sanaa, die seit knapp zwei Jahren unter Houthi-Kontrolle ist. Auf Sanaa, UNESCO-Weltkulturerbe, Stadt der prächtigen Turmhäuser und Juwel arabischer Städtearchitektur – wo einst Touristen flanierten, donnern heute die Bomben nieder. "Ein normales Leben ist kaum möglich, uns fehlen die wichtigsten Dinge, wie Medikamente. Die Preise für Brot werden nicht reguliert und sind extrem hoch. Die Houthis regieren, dazu kommen die Luftschläge der Saudis – die Lage ist extrem hart", sagt Ghamdan Al-G., ein Englischlehrer aus Sanaa zum KURIER. Obwohl er Sunnit ist, will er keine Partei ergreifen. Nur so kann er unbehelligt arbeiten.
Die medizinische Lage ist katastrophal – vor allem in Taiz, einer Stadt mit knapp einer halben Million Einwohnern, die im Südwesten des Landes liegt. Der Arzt Ahmed al-Domainy hat dort in seinem Krankenhaus mit großen Problemen zu kämpfen: "Wir werden von den Houthi-Rebellen belagert, sie kontrollieren alle Versorgungsrouten, sodass wir keinen Nachschub bekommen. Unser Krankenhaus wurde mit Mörsern beschossen, der Operationssaal ist vollkommen zerstört. Seitdem behandeln wir die Verwundeten in einem Nebengebäude", berichtet er. Das Gesundheitssystem in Taiz ist zusammengebrochen, Krankheiten wie Masern drohen sich unkontrolliert auszubreiten.
Uralter Konflikt
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen, seit 2007 im Jemen im Einsatz, hat vergangenen Donnerstag angekündigt, ihr Personal aus dem Norden abzuziehen – vier von ihnen unterstützte Krankenhäuser wurden bombardiert, vor einer Woche starben 19 Menschen bei solch einem Angriff. "Die saudi-arabische Allianz hat auch teilweise die Verantwortung dafür übernommen und Untersuchungen eingeleitet, von denen wir aber keine Ergebnisse bekamen. Den letzten Angriff haben sie als ,Fehler‘ bezeichnet", sagt Franz Luef, ein Sprecher der Organisation.
Die Wurzeln des Krieges reichen tief in die Vergangenheit zurück: Bis 1962 war der Jemen ein Königtum, vom Norden aus herrschte eine schiitische Elite. Nach dem Tod des Königs revoltierten sunnitische Offiziere, die Houthis verloren an Macht. Über die Jahrzehnte wurden sie immer mehr unterdrückt und in den Norden gedrängt. 2004 begehrten die Houthis gegen die mehrheitlich sunnitische Regierung auf. Als Langzeitdiktator Ali Abdullah Saleh im Zuge des Arabischen Frühlings 2012 abdanken musste, entstand ein Machtvakuum, das die Rebellen ein Jahr später nutzten. Sie starteten eine Großoffensive – im September 2014 nahmen sie die Hauptstadt Sanaa ein, der Übergangspräsident flüchtete aus dem Land. Als die Houthis zügig in Richtung Aden, der zweitgrößten Stadt des Jemen, vorrückten, griff Saudi-Arabien ein und begann mit massiven Luftschlägen. Seitdem sind mehr als 6500 Menschen gestorben, mehr als 2,5 Millionen sind auf der Flucht.
Der Konflikt gilt auch als eine Art Stellvertreterkrieg zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien, auch wenn der Iran die Rebellen nicht offiziell mit Waffen unterstützt. Die USA, die die Saudi-Koalition unterstützten, haben nach der jüngsten Eskalation angekündigt, ihre Militärberater großteils abzuziehen.
Mehr als 12,38 Milliarden Euro Schaden hat der Krieg schon verursacht. Bereits zuvor galt der Jemen als eines der ärmsten Länder der Welt.Der Englischlehrer Ghamdan sagt dazu: "Es ist mir völlig egal, wer gewinnt. Wir, die Zivilbevölkerung, haben schon zu viel verloren, um uns darüber Gedanken zu machen."