"Die Rückseite unseres Optimismus"
Spätestens seit seinem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Roman "Middlesex" zählt Jeffrey Eugenides zu den bedeutendsten Schriftstellern der Gegenwart. Aufgewachsen in Detroit sah der heute 56-jährige Nachkomme griechischer und irischer Einwanderer die einstige Auto-Metropole niedergehen, ganze Landstriche veröden und den "american dream" nicht wirklich glänzen. Fünf Jahre verbrachte Eugenides in Berlin. Heute lebt er wieder in den USA und unterrichtet an der Universität in Princeton. Vom Schock nach dem überraschenden Wahlsieg Donald Trumps hat sich der Autor noch nicht erholt. "Ich fühle mich schlecht", sagt er im Interview mit dem KURIER. Vor allem angesichts der vielen Sorgen, "die man sich bei einer Trump-Regierung machen muss".
KURIER: Der designierte Präsident der USA, Donald Trump, sagte nach seinem Wahlsieg, dass er alle Amerikaner repräsentieren wird. Repräsentiert er auch Sie?
Jeffrey Eugenides: Er repräsentiert mich nur in dem Sinne, dass derjenige, der die Wahlen gewinnt, immer das amerikanische Volk vertritt. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die fordern, die Wahlmänner sollten bei ihrer Zusammenkunft am 19. Dezember anders abstimmen, damit ein anders Ergebnis herauskommt als am 8. November. Darin stimme ich Präsident Obama zu: Wenn die Folge der Wahlen ist, dass jemand gewinnt, den ich nicht mag, muss man dennoch dem Wahlgesetz folgen. Denn das Wahlgesetz und das Land sind größer als eine einzelne Wahl. Ich habe nicht für Trump gestimmt, er vertritt also nicht meine Interessen und Werte – wie es gewesen wäre, wenn Hillary Clinton gewonnen hätte. Das halbe Land würde sich jetzt wahrscheinlich besser fühlen, wenn sie gewonnen hätte.
Regisseur Michael Moore hat Trump als "ignoranten, gefährlichen Teilzeit-Clown und Vollzeit-Soziopathen" bezeichnet. Was waren die entscheidenden Gründe seiner Wähler, für ihn zu stimmen. Für einem Mann, der gar kein Politiker ist?
Es war genau die Tatsache, dass er kein Politiker ist. Man muss sich nur die Swing States anschauen, die ihn jetzt alle gewählt haben, Michigan, Pennsylvania, Wisconsin. Das waren Staaten, wo die weiße Arbeiterklasse lange gelitten hat. Ich bin von Detroit, bin dort aufgewachsen, kenne also die Gegend, kenne die Menschen dort und habe ihre Jobs verloren gehen sehen, in diesen vergangenen 30, 40 Jahren. Es war eine schwierige Zeit, die De-Industrialisierung des mittleren Westens.
Diese Wähler wollten protestieren oder in Schmerzen aufschreien, dass ihre Probleme nie beachtet werden. Diese einfache Botschaft Trumps, Jobs in die USA zurückzubringen, so vereinfacht und fiktiv diese Botschaft gewesen sein mag – für diese Leute war diese Botschaft klar und verständlich. Und sie sind von den Demokraten, die sie davor gewählt haben, auf Trump umgestiegen. Das waren zwar keine riesigen Bevölkerungsteile, aber sie hatten eine riesige Auswirkung.
Trumps Wähler sahen über dessen Provokationen hinweg. Wie kann man jemanden wählen, der die halbe Gesellschaft beleidigt? Wie konnte man als Frau für Trump stimmen?
Ich würde annehmen, dass Frauen, die Trump wählten, vieles gar nicht als Beleidigung empfanden oder das meiste bewusst ignoriert haben. Die Gefühle, zu einer bestimmten Klasse oder Region zu gehören, war ihnen wichtiger als die Genderfrage. Für Frauen in Michigan, deren Jobs gefährdet sind, waren Trumps Job-Versprechen vielleicht bedeutsamer als die Tatsache, dass er jemanden einen "Bimbo" nennt.
Haben Sie in Ihrer persönlichen Umgebung die Wut der Wähler gespürt?
Es gibt viele Arten von Wut im Land, nicht nur auf der Trump-Seite. Nicht weit von meinem Haus wohnt ein Mann, der seinen ganzen Vorgarten mit Trump-Schildern vollgepflastert hat. Manchmal sitzt er draußen und hält eines dieser Schilder hoch. Er scheint jemand zu sein, der sich fühlt, als ob seine Stimme nie gehört würde. Da war klar, irgendwas passiert im Land. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viel Zorn, die Polizeigewalt, die "Black-lives-matter"-Bewegung, die Rassenungleichheit.
Haben sich die Ideologien verschoben? Gibt es heute kein links gegen rechts mehr, sondern herrscht das Gefühl vor: Wir, das Volk, gegen die da oben, das Establishment?
Es liegt nicht an mir, zu beschreiben, was Trump tut, ob sein politischer Kurs kohärent sein wird. Er hat eine Menge Leute um sich geschart, die mir Sorgen bereiten, aber er hat noch keine endgültige Auswahl getroffen. Somit ist schwer zu sagen, wohin seine Politik steuern wird. Wird er ein konservativer republikanischer Präsident sein, wird er Probleme mit China anzetteln oder wird er handeln, indem er den Demokraten entgegenkommt? Niemand weiß derzeit, was Trump tun wird. Aber er scheint nicht ideologisch motiviert zu sein, er ist unberechenbar. Manchmal hörte er sich an wie ein Falke, manchmal wie ein Isolationist. Einer Linie wird er aber vielleicht treu bleiben – seinem Widerstand gegen die Einwanderung. Ich glaube nicht, dass er viel ans Regieren gedacht hat. Er hatte vielmehr sein eigenes Profil im Sinn und den Wahlkampf.
Was wäre das Schlimmste, was Sie von einer Trump-Regierung befürchten würden?
Das absolut Schlimmste wäre aus meiner Sicht natürlich eine Art politischer Unfall oder einseitiger Akt, der zu einem nuklearen Konflikt führen würde.
Und in Bezug auf den Klimawandel, den Trump ja als "Schwindel" bezeichnet, befürchte ich, dass Trump die zuletzt von US-Präsident Obama abgeschlossenen Klimaverträge wieder aufweichen könnte. Es gibt noch eine lange Liste von Sorgen, die sich angesichts einer Trump-Regierung vor mir auftut, aber diese beiden Bereiche könnten zu einem globalen Desaster führen.
Wird Donald Trump als Präsident seine Botschaft ändern?
Er ist ein brillanter Verkäufer. Er kam in den republikanischen Wahlkampf mit der Frage: Mit welcher Botschaft kann ich mich verkaufen? Vor allem mit der Anti-Einwanderungsbotschaft – und es hat funktioniert. Im Wahlkampf hat er ein düsteres Bild von den USA gezeichnet. Aber jetzt, wenn er im Amt ist, wird er sagen, dass die Dinge gut laufen.
Warum hatte Trump so viel Erfolg mit seiner pessimistischen Darstellung der USA – das ist doch sehr unamerikanisch? Obama hatte einst mit der genau gegenteiligen Botschaft gewonnen: Ja, wir schaffen das.
Dem amerikanischen Charakter ist eine Art Angst vor Katastrophen immanent. Es gibt eine Art Befürchtung, dass "satanische Kräfte" das Land übernehmen könnten. Früher war es die Angst vor den Kommunisten, jetzt sind es die Terroristen. Es gab immer Elemente der Furcht vor einer Apokalypse – das ist die Rückseite zu unserem Optimismus. Man muss sich nur die vielen dystopischen Romane der letzten fünfzehn Jahre anschauen. Unsere generelle Zukunftsvorstellung ist derzeit eher dunkel, und ich habe noch nicht verstanden, warum. Die Leute sind besorgt, viele haben das Gefühl, die Dinge laufen falsch.
Trumps Erfolg ist insofern ungewöhnlich, als es bisher immer hieß, mit einer negativen Botschaft kann man nicht gewinnen. Aber er hatte ja auch einen positiven Ansatz: "Wir werden die Dinge richten." Und nach acht Jahren demokratische Präsidentschaft gab es auch den Wunsch nach Wechsel.
Donald Trump hat diesen Wechsel auch im republikanischen Lager vollzogen. Er hat die Kontrahenten in seiner eigenen Partei im Vorwahlkampf wie ein Panzer überrollt.
Ja, das hat er, und er hatte immerhin 17 Kontrahenten. Aber die anderen konservativen Kandidaten waren auch alle furchtbar.
Nächste Woche kommen Sie nach Wien, nicht um über die Wahlen, sondern um über die Liebe zu sprechen ...
(Lacht) Ja, das sieht in dieser Situation eher unpassend aus, aber das Thema der Veranstaltung wurde schon lange vor Trumps Wahlsieg festgelegt.
Glauben Sie, dass Donald Trump jemals Bücher liest?
Nein, das glaube ich nicht. Er sieht im TV höchstens Sendungen über sich selbst.
TIPP: Im Rahmen der Erich-Fried-Tage wird Jeffrey Eugenides am 22. 11. im Akademietheater in Wien gastieren. Thema: Reden über die Liebe. Beginn: 19.30 Uhr.