Politik/Ausland

Erdoğan: Kein Zögern bei der Todesstrafe

Erdoğan entkam in der Nacht zu Sonntag kaum jemand. Kurz nach Mitternacht erhielten zahlreiche Handynutzer bei Anrufen zunächst eine aufgezeichnete Nachricht zum Jahrestag des Putschversuchs – vom Staatschef höchstpersönlich. "Als Ihr Präsident gratuliere ich Ihnen am 15. Juli zum Tag der Demokratie und der Nationalen Einheit. Möge Gott Erbarmen mit unseren Märtyrern haben. Ich wünsche unseren Veteranen Gesundheit und Wohlbefinden", sagte die Handy-Stimme.

Doch nicht nur übers Mobilnetz wandte sich der Staatschef an das türkische Volk. Bei Gedenkfeiern sowie nächtens im Parlament sprach er zu seinen Anhängern. In harter Tonalität rechnete er mit den Putschisten und deren Hintermännern, die er in der Gülen-Bewegung verortet, ab: "Diesen Verrätern werden wir zuerst die Köpfe abreißen." Zudem forderte er die Bürger auf, mutmaßliche Gülen-Anhänger anzuzeigen: "Jeder soll sagen, was er weiß."

Provokationen Richtung EU

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Nicht nur damit heizte Erdoğan den Massen ein. Der Präsident sprach sich erneut für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus. Einem Gesetz würde er sofort zustimmen: "Wenn es ins Parlament kommt – und ich glaube daran –, und wenn es vom Parlament verabschiedet wird und zu mir kommt, werde ich das ohne Zögern bewilligen", sagte er. Daran könne ihn auch die Europäische Union nicht hindern, wie er mit einer Anspielung auf Deutschland und Großbritannien betonte: "Und ich persönlich achte nicht darauf, was Hans und George dazu sagen. Ich achte darauf, was Ahmet, Mehmet, Hasan, Hüseyin, Ayse, Fatma und Hatice sagen."

Es ist nicht das erste Mal, dass Erdoğan mit der Todesstrafe provoziert. Würde er sie wirklich einführen wollen, müsste er die Verfassung ändern. Die Beitrittsverhandlungen mit der EU wären dann vorbei. Das bestätigte auch Kommissionspräsident Jean Claude-Juncker: "Sollte die Türkei die Todesstrafe einführen, würde die türkische Regierung die Tür zu einer EU-Mitgliedschaft endgültig zuschlagen." Die Gespräche liegen seit einem Jahr auf Eis. Zu massiv seien die Verstöße gegen Menschenrechte und Pressefreiheit.

Die zwei größten Oppositionsparteien, die CHP und HDP, blieben Erdoğans Ansprache im Parlament fern, weil sie keine Redezeit bekamen. Sie kritisierten, dass er den Ausnahmezustand missbraucht, um seine Macht auszubauen. Er regiert derzeit mit Notstandsdekreten, die nicht vor dem Verfassungsgericht angefochten werden können.

Mehr als 150.000 Staatsbedienstete ließ er per Erlass suspendieren, da sie Verbindungen zur Gülen-Bewegung hätten. Weitere 50.000 Menschen sitzen in U-Haft, darunter auch die Direktorin von Amnesty International Türkei. Erdoğan hat scheinbar vergessen, dass sich die Organisation einst 1999 für ihn einsetzte, als er wegen einer hetzerischen Rede ins Gefängnis musste. Damals war die Türkei noch vom Säkularismus des Staatsgründers Atatürk geprägt. Und sie wurde gerade zum EU-Beitrittskandidaten ernannt. In der Nacht von Samstag auf Sonntag ließ der Staatschef mit seinen Worten keinen Zweifel daran, dass er darauf nicht mehr viel setzt.