Italien: Zehntausende beantragten am ersten Tag Grundeinkommen
Lange angekündigt, heiß diskutiert und wild umstritten zählt der "reddito di cittadinanza“, eine Art Mindestsicherung oder Hartz IV, zum zentralen Wahlversprechen der populistischen Fünf Sterne-Bewegung. Für viele der 11 Millionen Fünf Sterne Wähler war die Grundsicherung ausschlaggebend für ihre Wahlstimme.
Vizepremier und Fünf Sterne-Chef Luigi Di Maio kündigte den Tag als historisches Datum zur Abschaffung der Armut im Land an. Gestern sprach er von einer Revolution für Italien.
Bedürftige Einzelpersonen sollen monatlich bis zu 780 Euro erhalten. Armutsgefährdete Familien mit zwei Kindern sollen mit 1.280 Euro unterstützt werden. Auch Ausländer, die seit über zehn Jahren mit Aufenthaltsgenehmigung im Land leben, können einen Antrag einreichen. Für die Fünf Sterne ist die rasche Umsetzung ihres Versprechens überlebensnotwendig. Nur ein Jahr nach den Wahlen liegt die einstige Protestbewegung in einem Umfragetief. Mit der Einführung des Bürgereinkommens noch vor den Europawahlen Ende Mai hofft man ein Debakel zu vermeiden. Der Koalitionspartner, die ultrarechte Lega, hat die Umsetzung bis zuletzt mit zahlreichen Änderungsanträgen boykottiert. Man wollte vor allem den Bezieherkreis stark einschränken.
Sieben Milliarden Euro kostet die Regierung diese Sozialleistung, die in den west- und nordeuropäischen EU-Ländern längst Standard ist.
Auf gelben Debit-Karten wird, wenn alles nach Plan läuft, Anfang Mai das Bürgergeld gutgeschrieben. Bargeld gibt es fast keines. Bis zu 18 Monate – mit Option auf Verlängerung – kann man die Förderung beziehen. 56 Prozent der Familien mit Recht auf Mindestsicherung leben in Süditalien. Nur 28 Prozent leben im Norden, berichtet der parlamentarische Haushaltsberater Alberto Zanardi.
Die Anträge werden von der Pensions- und Sozialversicherungsbehörde INPS überprüft. Bis April will man die Bürger per Mail oder SMS informieren, ob sie die Mindestsicherung erhalten werden.
Damit die Maßnahme nicht wie Kritiker befürchten, die Schwarzarbeit in die Höhe treibt, hat die Regierung von Premier Conte Jobvermittlungsassistenten engagiert. Diese sollen bei der Jobsuche unterstützen, aber auch kontrollieren, dass die Bezieher der Mindestsicherung an Bildungskursen teilnehmen, gemeinnützige Arbeit leisten und nicht schwarz arbeiten. Wer drei Jobangebote ablehnt, verliert den Anspruch auf Mindestsicherung.
Das Problem: Es gibt bei weitem nicht genügend Jobs, nur ein geringer Prozentsatz wird über das Arbeitsamt vermittelt. „Ich frage mich, wie in Italien arbeitslosen Jugendlichen drei Jobangebote gemacht werden können“, erklärt Gewerkschafterin Annamaria Furlan. Arbeitsplätze ließen sich nicht aus dem Ärmel zaubern, dafür seien Investitionen nötig.
Über die Zahlen, wieviel Personen genau von der Unterstützung profitieren werden, herrscht Verwirrung. INPS rechnet mit 2,4 Millionen Empfängern. Die Regierung kündigt hingegen 3,5 Millionen Bezieher an. Laut Statistikamt leben aber fünf Millionen Menschen in Armut.