Politik/Ausland

Die Chancen des Cavaliere

Seit Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi zurück auf dem politischen Parkett ist, herrscht wieder Chaos. Nur wenige Tage, nachdem der 76-Jährige offiziell seine Wiederkandidatur für das Premieramt angekündigt hatte, sorgte er mit einem vermeintlichen Rückzieher für Verwirrung. Er könnte „einen Schritt zurücktreten“, sollte Premier Mario Monti bei der Parlamentswahl 2013 als Chef der Mitte-rechts-Koalition antreten. Seine eigene Partei ist dazu gespalten.

Beobachter vermuten hinter dem wechselhaften Verhalten ein taktisches Spiel. Der KURIER hat einen Politologen, eine Frauenaktivistin, einen Psychoanalytiker und einen Ökonomen gefragt, wie sie Berlusconis Chancen bei den Wahlen einschätzen und welche Folgen seine Rückkehr für Italien und Europa hätte.

Alle Inhalte anzeigen
„Falls nicht etwas komplett Unvorhersehbares passiert, hat Berlusconi keine Chancen zu gewinnen. Seine Partei bringt es momentan auf 15 Prozent der Stimmen. Damit liegt er weit unter dem Wert der Demokratischen Partei“, sagt Politologe Giovanni Orsina von der römischen Universität Luiss. Der Ex-Premier müsste, so Orsinas Einschätzung, eine sehr aggressive Wahlkampagne führen, um einen Teil der Stimmen von unentschlossenen und ehemaligen Berlusconi-Wählern für sich zu gewinnen. „Er könnte aus einem Nostalgie-Effekt heraus Stimmen bekommen, für das, was einmal war, aber nicht mehr ist: Ein strahlendes, fernsehgerechtes Italien, das von einem populistischen erfolgreichen Unternehmer regiert wird“, analysiert die Autorin und Frauenaktivistin Assunta Sarlo.
Alle Inhalte anzeigen
Von einem „genialen Verführer der Massen, ähnlich wie Mussolini oder Peron in Argentinien“, spricht Psychoanalytiker Sergio Benvenuto. „Berlusconi weiß, dass die Italiener einen ,Führer‘ wollen, damit sie weiter träumen und die Realität ignorieren können. Und Berlusconi kennt diese Träume genau“, so Benvenuto. Die Regierung Monti hätte als erste „echte rechte Regierung seit der Nachkriegszeit“ für ein hartes Aufwachen in der Realität gesorgt.

Ein Wahlsieg Berlusconis würde die Zeit anhalten, fürchtet Orsina. Das Land würde sich noch stärker als bisher im Kreis drehen. Denn der „Berlusconismo“ sei längst überholt.

„Ich werde von Forderungen überhäuft, so rasch wie möglich meine Rückkehr anzukündigen.“


Berlusconi habe in der Bevölkerung stark an Vertrauen eingebüßt. Selbst in seiner eigenen Partei seien ehemalige Verbündete am Absprung. Eine Gruppe von Parlamentariern unter der Führung von Ex-Außenminister Franco Frattini wolle die Partei verlassen und am Sonntag ihre neue Gruppierung vorstellen. „Viele seiner Vertrauten sind nicht mehr bereit, seine Strategie mitzutragen. Hinzu kommt, dass Berlusconi nicht fix mit der Lega Nord als Partner rechnen kann“, so Orsina.

„Er setzt alles daran, das Szenario von 2006 zu wiederholen, als Ex-Premier Romano Prodi gewann, aufgrund einer knappen Mehrheit im Parlament allerdings nur kurz regieren konnte. Berlusconi hofft auf eine schwache, instabile linke Regierung und darauf, sie zu stürzen – der Ruin für Italien“, prognostiziert Benvenuto.

Europa reagierte angesichts einer neuerlichen Rückkehr Berlusconis mit Aufregung. Die Börsen legten eine Talfahrt hin. EU-Regierungschefs versuchten Premier Mario Monti beim EU-Gipfel in Brüssel zum Bleiben zu überreden.

„Dramatische Folgen“

Eine Rückkehr Berlusconis hätte „dramatische ökonomische Folgen“, warnt Wirtschaftsprofessor Fabio Sdogati vom Mailänder MIP. Die Finanzmärkte würden ihren Angriff auf die italienische Verschuldung fortsetzen, was steigende Zinsen und eine Verschlechterung des BIPs zur Folge hätte. Der Zusammenhalt der Eurozone, zu dem Monti beigetragen habe, würde leiden, Nationalismen aufkeimen. Europa würde in Vorurteilen über ein „lasterhaftes, unbewegliches Italien, das trotz wirtschaftlicher Probleme die dramatische Situation ignoriert“ bestätigt. Das „starke“ Europa würde bei einem Berlusconi-Comeback Italien gemeinsam mit Griechenland, Spanien und Portugal als Ballast mitschleppen müssen.

Das Fazit des Psychoanalytikers Benvenuto: „Jeder hat in der Familie einen etwas verrückten Verwandten, bei dem man nicht weiß, ob es besser ist, ihm zu helfen oder dem Schicksal zu überlassen. Das wäre der Fall mit Italien, wenn Berlusconi neuerlich gewinnen würde.“

In Italien hat der größte Profiteur der Wirtschaftskrise einen altbekannten Namen – die Mafia. Zu deren lukrativsten Geschäftsfeldern zählen neuerdings nicht nur Drogen,Schmuggel und Prostitution, sondern auch der Geldverleih. Denn viele Banken verweigern den strauchelnden italienischen Kleinunternehmern die Kredite, oft bleibt diesen dann nur noch der Weg zu Wucherern. Und diese arbeiten zumeist direkt der Organisierten Kriminalität – und deren schier unerschöpflichen Geldreserven – zu.

35 bis 45 Prozent an Zinsen sind im Durchschnitt zu berappen – halsbrecherische Kreditraten, die in den vergangenen vier Jahren rund 200.000 italienische Kleinunternehmer in den Ruin getrieben haben. Weitere 200.000 Unternehmer befinden sich nach Schätzungen des Händlerverbandes Confesercenti derzeit in den Händen der Wucherer, der sogenannten „usurai“.

Geldwäsche

Der äußerst ertragreichen Einnahmequelle wollte sich das Organisierte Verbrechen nicht länger verschließen – auch wenn die Mafiabosse die Wucherei bisher als „unwürdig“ angesehen hatten. Für die Mafia aber bringt das Geldausleihen doppelten Gewinn: Große Geldsummen werden verdient – und werden zudem durch den Finanzmarkt gewaschen.

„In der Krise hat sich die Mafia zur größten Bank Italiens entwickelt, die kleine Unternehmen immer mehr im Griff hat“, konstatiert die Gruppe SOS Impresa. Laut Schätzungen setzt die Mafia mit der Wucher jährlich rund 16 Milliarden Euro um, nur aus dem Drogengeschäft holt sie noch größere Gewinne heraus.

Allein seit dem Vorjahr hatten sich laut Caritas rund 600.000 Menschen in ihrer Verzweiflung an die illegalen Geldverleiher gewandt. Geahndet aber wird die Wucher in Italien aber kaum. Pro Jahr werden knapp 1000 Wucherer angezeigt – ein winziger Bruchteil jener, die mit den letzten Reserven der Verzweifelten ihr Geld machen.