Politik/Ausland

Die unbekannten Nachbarn

"Wenn ich Leute kennenlerne, dann ist das immer sehr lustig", sagt die arabische Israelin Anwar Egbarih. "Ich habe offenbar einen südamerikanischen Akzent. Wenn ich Lust habe, lasse ich sie raten, woher ich komme." Sie spielt ein typisches Gespräch vor: "Argentinien? – Nein. – Brasilien? – Nein. – Spanien? – Nein. Näher. – Hmmmm, Syrien? Jemen? – Nein, nein. Noch näher, von hier! – Was? Du bist Araberin? Oh, ist ok!" Und jedes Mal denkt sich Anwar: "Was soll das heißen, ‚Ist ok‘?"

Kaum Interaktion

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"Sie kennen einander nicht", antwortet Lance Bartholomeusz auf die Frage, warum die Spannungen und die Vorurteile zwischen Israelis und Palästinensern wieder schärfer werden. "Wenn sie einander heute begegnen, dann nur über die Enden einer Waffe", betont der Direktor von UNRWA im Westjordanland (UN-Agentur für die Versorgung palästinensischer Flüchtlinge). Er weist auf die Schwierigkeiten der Blockaden und Einschränkungen im Personenverkehr hin. Aus dem Gazastreifen kann man kaum ausreisen, aus dem Westjordanland kommen Palästinenser nur mit speziellen Genehmigungen heraus. Und Israelis wird die Einreise nicht empfohlen.

Überraschenderweise schlägt auch der Außenamtssprecher Israels, Emmanuel Nahshon, in dieselbe Kerbe. Er nennt es eine "riesige Katastrophe", dass junge Menschen von der palästinensischen und der israelischen Seite einander im Alltag kaum mehr kennenlernen. Da habe seine Generation einen großen Vorteil. "Ich bin nicht naiv, ich denke nicht, dass die Interaktion all unsere Probleme lösen würde. Aber es wäre eine bessere Plattform für den Dialog."

Die Situation sei schwierig. Doch die Blockaden und Hürden gegenüber Palästinensern seien notwendig, so der enge Mitarbeiter von Premier Benjamin Netanyahu. Denn nur durch die Mauer – die er "Zaun" nennt – sei Israel sicher vor Selbstmordattentätern.

Dutzende Messerattacken von jungen Palästinensern seit vergangenem Herbst geben ihm und der israelischen Regierung scheinbar recht. Man müsse sich vor dem "Feind" absichern. Doch glaubt man Berichten des israelischen Geheimdienstes Schin Bet, dann sind es genau die durch die Besatzung eingeschränkten Zukunftsperspektiven, die junge labile Personen zu diesen Aktionen treiben.

Zwei Welten, vereint

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Anwar Egbarih – die junge Araberin, die alle für eine Südamerikanerin halten – ist anders. Sie will und wird die Hoffnung nicht aufgeben, dass ihre beiden Welten, wie sie es nennt, einmal Frieden haben. Wenn die 23-Jährige spricht, dann gestikuliert sie wild mit ihren Händen, deren Nägel bunt lackiert sind. Die Locke, die aus ihrem modischen Turban hängt (gegen den sie ihren Hidschab eingetauscht hat), wackelt, wenn sie spricht. Anwar ist modern. Sie ist Studentin, Vegetarierin, Feministin, Lehrerin, Araberin, Israeli.

In dieser zierlichen Person mit der Stimme, die lauter ist, als man es ihr auf den ersten Blick zutraut, vereinen sich Welten. Sie ist ein Symbol für Interaktion. Und sie steht für viele. Zehntausende Araber leben mit Juden in Israel zusammen. Viele leben denselben Lifestyle.

Anwar ist mit 19 zum Studieren nach Tel Aviv gezogen. Aus der kleinen arabischen Stadt Umm al-Fahm im Norden Israels. "Ich bin in Israel geboren. Aber ich bin ausschließlich arabisch aufgewachsen. Als ich in der Schule Hebräisch gelernt habe – weil ich musste –, hasste ich es. Ich hatte keine Ahnung wofür ich es brauche." So wie sie früher gedacht hat, denken heute noch viele Menschen in dem Land. Ohne Kontakt zu den "anderen" – wozu dann deren Sprache lernen? Doch als Anwar Egbarih nach Tel Aviv zog, wusste sie, dass an Hebräisch kein Weg vorbei führte. Und durch einen Zufall kam es sogar, dass sie begann , Israelis Arabisch beizubringen.

Checkpoint-Arabisch

Wenn Israelis Wörter auf Arabisch können, erzählt Anwar, dann seien es Schimpfwörter oder die "Checkpoint-Sprache". Etwa: "Gib mir deinen Ausweis!" oder "Geh da rüber!" "Wenn du ein Soldat an der Grenze bist und kein Arabisch kannst", fragt sich Anwar, "wie sollst du dann darüber Bescheid wissen, wen du reinlässt und wen nicht?"

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Und sie wundert sich über viele ihrer israelischen Mitbürger. "Sie leben doch im Nahen Osten. In jeder Ecke, in die man schaut, wird Arabisch gesprochen. Und es ist ja nicht nur eine Sprache. Es ist eine Kultur, eine Geschichte ..."

Anwar spricht wie mit einer Freundin, mit ihrer kommunikativen, offenen Art. "Mehr davon", will man in die israelische Gesellschaft hineinrufen. "Redet miteinander!" Wenn man die Sprache des Gegenübers spricht, rechnet die Mathematik-Studentin vor, ist es einfacher, miteinander zu sprechen. "Im echten und im übertragenen Sinn. Es wird sicher leichter, eine Lösung zu finden."

Arabischer Pop

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Zumindest in die israelische Popkultur hat es die arabische Sprache endlich geschafft. Als im Vorjahr die Band "A-WA" mit ihrem Hit "Habib Galbi" ("Liebe meines Herzens") die Charts im Sturm eroberte, war zum ersten Mal ein Song in arabischer Sprache Nummer Eins in Israel. Doch was die drei jüdischen Schwestern jemenitischer Herkunft mit ihrem Liedtext sagen wollen, wissen nur wenige junge Israelis.