Politik/Ausland

Island auf dem Weg zur Pirateninsel

Es ist ein politischer Kulturkampf, der bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am kommenden Samstag in Island seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht – einer, der sich schon im Erscheinungsbild und den Biografien der handelnden Personen widerspiegelt. Gar nicht zu reden von den politischen Differenzen.

Da sind Bjarni Benediktsson (46, Unabhängigkeitspartei) und Sirgudur Ingi Johannsson (54, Fortschrittspartei und gegenwärtig Premierminister), Herren in Anzug und Krawatte, langjährige Politiker mit ebenso langen Parteikarrieren. Und dann ist da Brigitta Jonsdottir (49), Poetin, Aktivistin (sie agierte als WikiLeaks-Sprecherin) und gewissermaßen eben auch Politikerin, deren Erscheinungsbild eher auf eine Punkrock-Vergangenheit schließen lässt als auf eine Partei-Karriere. Und gerade sie ist es, die das politische System des Inselstaates auf den Kopf stellen könnte.

Erste Liebe

Jonsdottir ist der führende Kopf der Piraten-Partei. Als Chefin der Partei will sie sich nicht bezeichnen – handelt es sich doch um eine politische Bewegung, die sich ganz bewusst keinen Chef verpassen will. Bei der Wahl am Samstag aber haben die Piraten gute Chancen, zur stärksten Partei in Island zu werden. Und dass das, was Umfragen knapp vor dem Wahlgang zeigen, gerade in Island auch durchaus Chancen auf Realisierung hat, haben die Isländer bereits vor Jahren bewiesen: Sie wählten den Schauspieler, Satiriker und späteren Chef der "Besten Partei" Jon Gnarr 2010 zum Bürgermeister der Hauptstadt Reykjavik. Detail am Rande: In Teenagerjahren soll eben dieser Gnarr die erste Liebe Jonsdottirs gewesen sein.

In Umfragen lagen die Piraten also nur wenige Tage vor dem Urnengang durchwegs mit rund drei Prozentpunkten Vorsprung vor den beiden etablierten Großparteien bei rund 23 Prozent. In Sitzen würde das einem Gleich-stand bei 15 Mandaten gleichkommen. Beobachter glauben daher nicht, dass die Piraten tatsächlich auch die Regierung stellen werden. Was mit einem solchen Ergebnis aber dennoch in politische Realität gegossen werden würde, ist die Unzufriedenheit der Isländer mit dem politischen Establishment und der Wunsch nach Veränderung.

Bankenkrise

Das Vertrauen in die politische Elite des Landes ist jedenfalls zutiefst erschüttert; erst die Bankenkrise von 2008, dann die Panama-Papers, die bewiesen, dass der damalige Premier Gunnlaugsson über Jahre – und auch während der Bankenkrise 2008 – zusammen mit seiner Frau mit Briefkastenfirmen Geschäfte machte. Massenproteste mit Tausenden Teilnehmern waren die Folge. Gunnlaugsson trat zurück, übergab sein Amt an Johannsson, und der Weg in Neuwahlen wurde frei. Wahlen, die im Sog der Euphorie wegen der isländischen Erfolge bei der Fußball-EM zu so etwas wie einer bevorstehenden Zäsur hochstilisiert wurden – einem Neuanfang.

Anarchisten und Hacker

Und da kommen die Piraten ins Spiel, ein Kollektiv von Anarchisten, Hackern und Ultraliberalen. Direkte Demokratie und die Entkriminalisierung aller Drogen stehen auf ihrem Programm. Edward Snowden, dem derzeit in Russland lebenden US-Hacker, will die Partei Aufenthalt anbieten. Im Wahlkampf warb sie zudem mit dem Projekt, der Insel ein neues Grundgesetz zu geben. Bei anderen Themen, wie einem möglichen EU-Beitritt Islands, formuliert man aber schwammig und bezieht sich auf das Schlagwort "direkte Demokratie". Die Positionen der Partei werden in Online-Befragungen gefunden. Daher auch keine Chefin.

Klar aber ist, dass die Piraten bereit sind, die Führung einer Regierung zu übernehmen. "Wir sind gewillt, den Ministerpräsidenten zu stellen", hat Jonsdottir gesagt.

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