Politik/Ausland

Iran: Reformen, aber "Revolution bewahren"

KURIER: Sie haben eine sehr abwechslungsreiche Karriere gemacht. Als Jugendliche haben Sie in den USA gelebt, waren dann eine Sprecherin der Islamischen Revolution, Wissenschaftlerin, Journalistin, Sie sind eine der 500 wichtigsten Frauen der Islamischen Welt. Was von alldem ist für Sie am wichtigsten?

Masoumeh Ebtekar: Am wichtigsten ist mir, meinem Volk zu dienen, der Menschlichkeit und vor allem den künftigen Generationen. Wir müssen auf unserem Planeten nachhaltige Entscheidungen für unsere Umwelt treffen.

Aber was war das Wichtigste in Ihrem bisherigen Leben?

Meine Karriere als Immunologin. Und ich durfte für Staatspräsident Khatami arbeiten und jetzt für Rohani. Aber es war auch während meiner Karriere wichtig für mich, dass ich Mutter von zwei Söhnen bin. Und es macht mir viel Freude, junge Leute zu motivieren, gerade in meinem Aufgabenbereich, dem Umweltschutz.

Bei den Wahlen haben die Reformer gewonnen, zu denen auch Sie gehören. Welche Veränderungen wird es nun geben?

Wir müssen Kritik ernst nehmen, und auch die Erwartungen der jungen Menschen, aber gleichzeitig die Prinzipien der iranischen Revolution bewahren. Wir brauchen politische, wirtschaftliche und soziale Reformen.

Wie wird sich Ihre Gesellschaft verändern?

Wirtschaftsreformen müssen mehr Transparenz und mehr Wettbewerb bringen, mehr Möglichkeiten für den privaten Sektor, mehr Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen.

Das heißt, die Gesellschaft muss sich in jedem Bereich öffnen?

Ja, und gleichzeitig unser nationales Erbe, unsere kulturelle Identität bewahren. Wir müssen aber auch die Korruption bekämpfen. Und für die Regierung von Präsident Rohani ist es auch sehr wichtig, dass sich alle an die Gesetze halten.

Sie garantieren, dass Investitionen hier geschützt werden?

Ja, wir müssen eine sichere Grundlage für ausländische Investitionen schaffen. Und gleichzeitig die Interessen des iranischen Volkes wahren. Handel mit dem Iran wird in einer offenen und fairen Atmosphäre stattfinden.

Sie, Frau Vizepräsidentin, haben von sich aus die Korruption angesprochen.

Das Problem gibt es in anderen Ländern auch. Wir wollen jetzt dagegen vorgehen. Wir werden auch verhindern, dass sich jemand rechtswidrig Land aneignet. Aber unsere Justiz geht auch gegen illegalen Handel oder gegen Verbrechen gegen die natürlichen Ressourcen vor.

Präsident Rohani hat in dieser Woche Privatisierungen angekündigt, etwa in der Autoindustrie. Werden das die Revolutionsgarden, die ja viele Unternehmen haben, akzeptieren?

Jeder in unserem Land fällt unter das Gesetz, da gibt es keine Ausnahmen. Wer auch immer am Wirtschaftsleben teilnimmt, der Staat, das Militär oder Private, muss sich ans Gesetz halten.

Wenn Sie die Gesellschaft öffnen, werden die Menschen an mehr Informationen herankommen. Stört Sie das nicht?

Wir müssen uns der Welt der Information öffnen, aber gleichzeitig unsere nationale Identität schützen.

Stören Sie die sozialen Medien, die ja überwiegend auf amerikanischen Plattformen beruhen?

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Wir müssen unser Volk aufklären, was es im Internet oder in Hollywood gibt. Da geht es um Interessen und Profit. Wir müssen sichergehen, dass die jungen Leute verantwortungsvolle Entscheidungen für ihr Leben treffen. Moderne Gesellschaften werden immer materialistischer. Wir glauben, dass das Leben mehr bietet als nur Konsum. Wir wollen also mehr Freiheit, aber gleichzeitig auch eine religiöse Erziehung. Der Klimawandel ist doch auch eine Folge von reinem Profitstreben.

Aber es ist nur ein kleiner Schritt von der Erziehung zur Zensur.

Ja, das kann sein, aber es gibt eben auch Gesetze und Beschränkungen, Sie haben auch Kontrollen und Regulierungen. Junge Leute sollen nicht durch falsche Informationen missbraucht werden. Sie wollen ja auch nicht, dass junge Leute an gewisse explizite Seiten im Web herankommen. Unsere Grenzen sind sicherlich manchmal strikter, weil wir ja auch religiöse Werte haben.

Wir haben ja schon über Ihre persönliche Karriere gesprochen. Würden Sie sagen, Sie sind ein Vorzeigemodell für Frauen in der Islamischen Welt?

Wir haben verschiedene Vorzeigemodelle im Iran. Viele Frauen haben die Kapazität, Führungskräfte zu werden. Wir haben seit Kurzem eine Vizeministerin für die Erdölindustrie.

Veränderungen überall.

Ja, auch im Sport sind unsere Frauen sehr erfolgreich, unsere Frauen machen großartige Filme, Theaterstücke oder Musik.

Aber im Familienrecht sind Frauen noch benachteiligt.

Nein, die Position der Frau ist stark, aber anders als im Westen. Es ist ein wenig kompliziert zu erklären, aber auch hier kann manches verändert werden.

Wo zum Beispiel?

Nach dem islamischen Familienrecht hat der Mann die gesetzliche und finanzielle Verantwortung für die Familie. Das heißt aber nicht, dass die Frauen da keine Rolle spielen, viele unterstützen ja finanziell ihre Familien.

Kommen wir zum Bürgerkrieg in Syrien. Sehen Sie eine Chance für Frieden?

Es gibt endlich einen Waffenstillstand, das gibt uns ein bisschen Hoffnung. Der Iran spielt hier eine Rolle, nicht nur in Syrien, sondern bei allen Konflikten in der Region. Wir müssen sie durch Verhandlungen lösen. Aber wir müssen auch die Gewalt bekämpfen und die Ursachen für die Gewalt. Also die Ungerechtigkeiten, aber auch die Okkupationen. Die kurzfristigen wie im Irak oder die längerfristigen in Palästina. Verzweiflung kann auch zu Gewalt führen.

Werden wir beide in unserer Lebenszeit noch irgendeine Form von Ausgleich zwischen dem Iran und Israel erleben?

Das ist außerhalb jeder Realität. Frieden in Palästina muss das palästinensische Volk erreichen.

Kommen wir zurück zu den Beziehungen mit Österreich: Was raten Sie unseren Unternehmen, die hier Geschäfte machen wollen?

Es gibt schon gute Kooperationen, gerade im Umweltbereich. Es ist eine Win-win-Situation, denn Ihre Unternehmen haben viele Erfahrungen und finden hier viele Möglichkeiten vor. Also gerade die Green-Technology ist uns wichtig. Wir wünschen uns aber auch Studentenaustausch, und wir freuen uns auf Touristen, die sich unser Land und unsere Kulturdenkmäler anschauen wollen.