Politik/Ausland

Schiiten rüsten für Glaubenskrieg

Es bedurfte nur einer kurzen Anweisung von ihm, und schon gingen am Wochenende Zehntausende auf die Straße. Mit Waffen in der Hand demonstrierten die Schiiten ihre Loyalität zu ihrem Prediger und Chefideologen Muktada al Sadr – aber auch ihre Bereitschaft, in den Krieg zu ziehen. Der Vormarsch der islamistischen Terror-Armee ISIS in weiten Teilen des Irak hat die Schiiten des Landes alarmiert. Zwar wird der Irak mit Premierminister Nuri al-Maliki von einem Schiiten regiert, doch dem scheint jegliche politische Autorität gerade verloren zu gehen, auch über die Armee, die die ISIS vor sich hertreibt. Wieder sind am Wochenende mehrere Orte an der Grenze zu Syrien in ihre Hände gefallen. Auch an der Grenze zu Jordanien haben die Terroristen Stellung bezogen. Das Königreich hat sein Militär an der Grenze mobilisiert.

Soldaten laufen über

Wie in Syrien werden nun auch im Irak die Frontlinien zunehmend von einem Glaubenskrieg gezogen. Die ISIS, die eine radikale Strömung des sunnitischen Islam vertritt, kann so weite Teile der Bevölkerung, aber auch der Armee in den sunnitisch dominierten Teilen des Landes hinter sich vereinen. Hinrichtungen von Zivilisten – am Sonntag wurden erneut 21 gemeldet – verbreiten zusätzlich Angst und Schrecken.Für die Schiiten eine offene Bedrohung, vor der sie die Regierung nicht schützt. Viele wenden sich daher lieber an Muktada al Sadr. Der inzwischen 40-jährige Sprössling einer uralten schiitischen Predigerdynastie hat mit seiner 100.000 Mann starken "Mehdi-Armee" schon gegen die US-Besatzer einen Guerillakrieg geführt. Danach forderte er seinen Widersacher, Premier Maliki, offen heraus. In einem Jahre andauernden Kleinkrieg setzte sich schließlich Maliki durch. Jetzt aber erkennt der Prediger seine Chance, die alte Machtposition wieder einzunehmen. Maliki, den er als den "neuen Saddam Hussein" beschimpft, ist durch den Vormarsch der ISIS und durch den Abzug der USA geschwächt. Die Schiiten, unter Saddam Hussein über Jahrzehnte unterdrückt, fühlen sich von ihm nicht mehr vertreten. Sie wollen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Der Aufforderung des Predigers, den Glaubenskrieg gegen die ISIS und damit gegen die Sunniten wieder aufzunehmen, folgen Zehntausende. Die Radikalisierung auf beiden Seiten lässt bei vielen Irakern die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg umgehen. Vor allem die gemäßigten Sunniten in Bagdad fühlen sich in Anbetracht der paradierenden Schiiten-Milizen hilflos: "Ich hoffe, die Iraker haben dazugelernt", vertraut einer der New York Times seine Sorgen an: "Damit sie nicht den selben Fehler machen wie nach Saddams Sturz."