Habsburg: "In zehn Jahren wird Europa ganz anders aussehen"
Von Andreas Schwarz
In seiner „Rede zur Zukunft Europas“ versuchte Karl Habsburg gestern in Wien Lehren aus der Vergangenheit für Europa zu ziehen, das in zehn Jahren „ganz anders“ aussehen werde. Zugleich sprach er sich für eine Erweiterung auch um die Ukraine aus und rechnete mit der 68er-Generation ab, die keine Freiheitsbewegung gewesen sei, wie viele Menschen heute noch glaubten, sondern die später „bedingungslos in den Staatsdienst eingetreten“ sei und Bürokratie und Zentralismus geschaffen habe – „Zwillinge, die direkt zum Verlust der Freiheit führen“. Die Sympathien der Bewegung für Tyrannen wie Mao, Pol Pot oder Fidel Castro und ihre Schergen seien evident. Der KURIER traf Habsburg vorher zum Gespräch.
Sie halten Ihre Rede zu Europa am selben Tag wie Emmanuel Macron – wollen Sie ihm Konkurrenz machen?
Karl Habsburg: Ich fürchte, dass es keine Konkurrenz ist, aber ich finde es wichtig, als interessierter Europäer Stellung zu nehmen. Gerade in dem Jahr, in dem so viel über Geschichte gesprochen wird und die Erfahrungen, die man daraus ziehen soll.
Macron versteht sich als neuer Motor in Europa, der einen Finanzminister und ein Budget für die Eurozone will, die bisherige Lokomotive Merkel steht auf der Bremse – welcher Lok folgen Sie?
Ich bin ein passionierter Europäer. Es gibt gewisse Prinzipien, ohne die dieses Gesamteuropa nicht funktionieren kann. Eines dieser Prinzipien ist Subsidiarität. Ich freue mich, dass wir in Frankreich einen Präsidenten haben, für den Europa etwas Wichtiges ist, der die Institutionen stärken will, aber ich bin nicht sicher, ob Herr Macron ein großer Anhänger des Subsidiaritätsprinzips ist.
Dennoch: Frischer Wind für die
EU inmitten des allgemeinen Gejammers?
Ich muss mich selbst auch immer wieder hinterfragen. Wenn man mich vor fünf Jahren gefragt hätte zu Union und Euro, hätte ich wesentlich optimistischer geantwortet als heute.
Schon das Wort Subsidiarität ist für viele Bürger zu technisch. Sie meinen was?
Eine höhere Ebene soll niemals Dinge ausführen, die auf einer niedrigeren Ebene zufriedenstellend erfüllt werden können – also was auf kommunaler oder regionaler Ebene geleistet werden kann, soll nicht auf nationaler Ebene gemacht werden, was auf nationaler Ebene geht, soll nicht auf europäischer Ebene erfüllt werden.
Dieser Slogan, Europa mehr zu den Menschen, wo es sie betrifft, mehr Europa aber bei Sicherheit Außenpolitik etc. ist so alt ...
... so lange ich zurückdenken kann. Und dass er nicht umgesetzt ist, liegt auch an den Institutionen. Es gibt ureuropäische wie das Parlament, die Kommission, den Gerichtshof – aber dann haben wir eine Institution, die viel mehr nationalstaatlich als europäisch agiert, und das ist der Rat, wo die Vertreter der Nationalstaaten sitzen, und die haben das Sagen in der EU.
In vielen Staaten Europas ist das Streben nach mehr Nationalstaatlichkeit zu erleben. Warum?
Viele Menschen wissen nicht mehr, wofür die Union steht und stand. Wer erinnert sich noch an das Jahr 1989 und davor an den Eisernen Vorhang und das Friedensprojekt Europa nach dem Krieg? Und dann muss man auch sagen: Jedes Land hat seinen Bodensatz Nationalisten, einmal mehr, einmal weniger, das war in der Geschichte schon immer so. Momentan ist die Union von verschiedenen Krisen geschüttelt – Brexit, Euro und andere –, und jede Krise stärkt natürlich nationalstaatliche Bewegungen. Deswegen ist es auch wichtig zu sagen: 100 Jahre Ende Erster Weltkrieg, was hat uns damals an Nationalismus hineingeführt, was hat uns in den Zweiten Weltkrieg hineingeführt ...
... ist die Gefahr des Nationalismus heute genauso groß?
Ich halte Nationalismus prinzipiell für gefährlich. Aber indem man ihn dämonisiert, schafft man das Gegenteil.
Wenn nicht dämonisieren, was dann?
Bessere Möglichkeiten aufzeigen. Und das europäische Konzept ist ein gutes Konzept. Ich bin immer noch passionierterer Europäer, wenn ich außerhalb Europas bin. In Afrika, in Asien, in Südamerika beneiden sie uns um dieses Konzept.
Sie haben die fünf Jahre erwähnt, in denen Sie weniger optimistisch geworden sind. Was ist da passiert?
Wir müssen uns mit dem Brexit, dem Austritt eines Landes auseinandersetzen, auch wenn ich das nicht so negativ sehe: Wir sind eine Institution, in die man hinein-, aus der man aber auch hinausgehen können muss. Dass wir aber momentan Staaten, die hereinkommen wollen, wesentlich mehr Schwierigkeiten machen als Staaten, die raus wollen, finde ich merkwürdig – Stichwort südosteuropäische Staaten. Jetzt kommen auch noch Dinge wie
Katalonien dazu.
... oder der Wahlsieg Orbáns und das Erstarken der Visegrad-Staaten gegenüber Europa. Ist das eine weitere Gefahr für den Zusammenhalt Europas?
Als diese Europäische Union entstanden ist, da war Europa eine Frage der deutsch-französischen Partnerschaft. Das geht mit sechs Mitgliedsstaaten, aber das geht seit der letzten großen Erweiterung der Union nicht mehr. Eine gewisse Unzufriedenheit bei den Staaten Mittelosteuropas ist logisch. Und Orban hat sich immer schon aus dem Konflikt heraus definiert, und ist pragmatisch geworden, wenn’s um die Sache ging. Das wird jetzt nicht viel anders sein.
Und dennoch wollen Sie die südosteuropäischen Staaten schneller hereinholen als geplant?
Ja, vor allem aus sicherheitspolitischen Gründen. Auch die Gründung der Union diente der Sicherheit, und dorthin gegangen ist man über den wirtschaftspolitischen Weg mit dem Ziel, dass die Sicherheit folgt. Das hat funktioniert. Auch wenn manches schief gegangen ist, wir heute keine vernünftige europäische Sicherheitspolitik haben, man ums Jahr 2000 herum der Illusion erlag, es gibt keine Krisen mehr, wir können das Militär abschaffen – das war ein gravierender Fehler.
Sind Unabhängigkeitsbestrebungen wie in Katalonien ein weiterer Sprengsatz für die Union – und wäre Katalonien mit Subsidiarität wirklich wieder einzufangen? Oder sind Puigdemont & Co. schon ganz woanders?
Er ist sowieso schon ganz woanders. Katalonien ist ein Symptom für ein Problem, das wir haben. Man muss Konzepte finden, wie man Regionen etwas anbieten kann, dass sie sich in der Union wiederfinden. Wir haben auch hervorragende Beispiele wie Südtirol.
Man darf Äpfel mit Birnen nicht vermischen, aber: Können so Großkonstrukte wie eine Habsburger-Monarchie, ein Ostblock mit der Sowjetunion und ihren Satelliten oder auch eine EU auf Dauer bestehen? Oder bergen sie von Haus aus in sich die Gefahr, aus ganz unterschiedlichen Gründen zu zerbröseln?
Wir haben das Zerbröseln erlebt. Man darf in der Politik zwei Begriffe nicht verwenden: „immerwährend“ und „nie“. Das sind religiöse Begriffe, die haben in der von Menschen gemachten Politik nichts verloren. Und da sind wir wieder bei der Subsidiarität und der Dezentralisation. Das ist die einzige Möglichkeit, wie man ein so großes Staatenkonstrukt machen/erhalten kann. Ein diktatorisches Großkonstrukt hat noch nie wirklich lange überlebt.
Wird in Zehn Jahren die berühmte Frage Henry Kissingers beantwortet sein, wo er anruft, wenn er mit Europa sprechen will?
Ich hoffe schon. Wir haben im Ansatz eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik ...
Im Ansatz reicht?
Nein, absolut nicht. Und ich bin überzeugt, ohne die Kristallkugel zu besitzen: In zehn Jahren wird Europa ganz anders aussehen, als heute. Wir müssen nur die Grundprinzipien erhalten, auch in einem sich verändernden Europa.
Sie haben jetzt nicht die Wirtschaftspolitik erwähnt. Kann Europa ohne gemeinsame Wirtschafts-, Steuer-, Budgetpolitik gegen China & Co. bestehen?
Nein. Das braucht es natürlich auch. Ohne gestärkten internen Markt spielen wir international in der Zukunft als Europäer nicht mit.