Chodorkowski gegen Olympia-Boykott
Von Walter Friedl
Es war (Freitag) zwei Uhr nachts, als mich der Lagerleiter geweckt hat und mir sagte: ,Du kannst nach Hause gehen‘. Dann habe ich erst erfahren, dass die Reise in Berlin endet.“ Das sagte Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski, 50, am Sonntag über seine spektakuläre Freilassung nach zehn Jahren in russischen Gefängnissen. Die Räumlichkeiten des Mauermuseums, wo die Pressekonferenz stattfand, waren dem Ansturm der internationalen Presse nicht gewachsen, teilweise verlief sie chaotisch. Nur einer blieb ruhig, lächelte viel und machte einen gelösten Eindruck – Michail Chodorkowski beantwortete bereitwillig alle Fragen zu...
... Russlands Präsidenten Wladimir Putin (der für die Einkerkerung seines politischen Erzrivalen verantwortlich zeichnete) Dieser sei ein „schwieriger Mensch“. Im Umgang mit ihm wolle er westlichen Politikern keine Ratschläge erteilen, aber sie sollten immer daran denken, „dass ich nicht der letzte politische Gefangene war“. Und weiter: „Ich will nicht als Symbol wahrgenommen werden, dass es keine politischen Gefangenen mehr gibt.“ Für deren Freilassung werde er sich jetzt einsetzen.
... einem möglichen Comeback in der Politik „Ich habe nicht vor, Politik zu betreiben. Es geht nicht um einen Machtkampf (mit Putin)“. Die russische Opposition stehe zwar besser da als noch vor zehn Jahren, habe aber keine starken Perspektiven. Finanziell unterstützen wolle Chodorkowski sie nicht.
... einer Rückkehr in seine russische Heimat Das stünde derzeit nicht zur Debatte, da „es keine Garantien gibt, dass ich das Land wieder verlassen könnte“. Es könnten neue Klagen drohen, zudem sei eine gegen ihn verhängte Geldstrafe in der Höhe von 400 Millionen Euro noch gültig.
... einer Wiederaufnahme seiner ökonomischen Aktivitäten (Chodorkowski war Chef des Öl-Konzerns Yukos) „Ich habe keine Pläne, in die Wirtschaft zurückzugehen. Ich habe in dem Sektor alles erreicht, was ich erreichen wollte. Ich kenne meine finanziellen Verhältnisse derzeit zwar nicht, aber das Geld reicht mir zum Leben.“ Angeblich ist ihm noch ein Vermögen zwischen 100 und 200 Millionen Euro verblieben. Fußballvereine wolle er aber sicher nicht kaufen. Auf einen Rechtsstreit um seine alten Yukos-Anteile wolle er verzichten, stellte der Ex-Unternehmer klar.
... einem Boykott der Olympischen Spiele im russischen Sotschi Es hoffe sehr, dass der Kremlchef das Ereignis nicht zu einem „persönlichen Fest für sich“ mache. Die Spiele sollten ein „Fest des Sports für Millionen von Menschen“ werden. „Das sollte man nicht verderben“, womit sich Chodorkowski gegen einen Boykott aussprach.
...der inhaftierten ukrainischen Oppositionellen Julia Timoschenko „Ich wünsche ihr von ganzem Herzen, dass sie bald freikommt.“ Präsident Viktor Janukowitsch solle sich hier an Putin ein Beispiel nehmen. Zusatz: „Zumindest in der Frage.“ Auch an diesem Sonntag gingen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew wieder Zehntausende Demonstranten auf die Straße, um gegen den Staatschef und dessen Regierung zu protestieren.
...den Bemühungen Deutschlands zur Freilassung (speziell Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher war in Abstimmung mit der Regierung zwei Jahre lang sehr aktiv) Chodorkowski bedankte sich ausdrücklich dafür. „Sie (Kanzlerin Angela Merkel) hat es möglich gemacht, dass ich heute in Freiheit bin.“
... den Hintergründen seiner Begnadigung durch Putin „Viele Fakten sind mir noch nicht bekannt.“ Jedenfalls aber habe er sein Gesuch an den Kreml-Chef ohne Schuldeingeständnis unterzeichnet. „Die Macht wollte immer ein Schuldbekenntnis von mir, doch das war unannehmbar für mich.“
Mauermuseum am Checkpoint Charlie
Seit 1962 Das Museum wurde knapp nach dem Berliner Mauerbau gegründet. Es befindet sich in der Berliner Friedrichstraße direkt neben dem früheren Checkpoint Charlie, der Grenzübergang in die ehemalige DDR.
Chodorkowski-Exponate Seit einigen Jahren gibt es in dem Museum auch zwei Räume, die dem russischen Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski gewidmet sind. Plakate geben Auskunft über die Zeit seiner Verhaftung 2003. Bilder zeigen ihn während des Prozesses in einem Käfig. In einer Vitrine liegt die Jacke, die er trug, als er vor zehn Jahren verhaftet wurde, daneben Aufzeichnungen aus dem handgeschriebenen Entwurf seines Schlussplädoyers.
Die Kreml-Gegner
Als einst reichster Mann Russlands verfügt der Kremlgegner Michail Chodorkowski (50) vermutlich noch heute über ein ansehnliches Vermögen. Eine offizielle Zahl, wie viel Geld nach der Zerschlagung seines einst größten russischen Ölkonzerns Yukos und nach den zehn Jahren Straflager noch übrig ist, gibt es aber nicht. In russischen Medien kursierte die unbestätigte Summe von 200 Millionen Euro.
Die Frage nach dem Vermögen kommt vor allem deshalb immer wieder auf, weil für den einst berühmtesten Gefangenen Russlands nicht nur die besten - und teuersten - Anwälte im Einsatz sind. Auch kostspielige PR-Firmen setzen sich seit langem dafür ein, dass der frühere Yukos-Chef im "Informationskrieg" mit dem Kreml den ein oder anderen Treffer landet.
Auf die Frage, ob er noch Milliardär sei, wird Chodorkowski auf seiner eigenen Internetseite mit folgender Antwort aus dem Jahr 2011 zitiert: "Lustige Frage. Fragen Sie die Staatsanwälte. Die wissen alles. Ich möchte es auch gern wissen."
Dementi
Seine Juristen stellten klar, dass Chodorkowski kein Milliardenvermögen mehr habe. Das sagten sie aber möglicherweise auch mit Blick auf die immensen Forderungen des russischen Staates, der Chodorkowski in umstrittenen Verfahren wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Öldiebstahls hat verurteilen lassen.
hodorkowskis in New York lebender Sohn Pawel sagte dem Radiosender Echo Moskwy im vergangenen Oktober, dass von dem 2003 genannten Vermögen von 15 Milliarden US-Dollar "vergleichsweise geringe Mittel" übrig seien. Im Straflager habe er als einfacher Gefangener Zugriff auf einige 1000 Rubel (je etwa 20 Euro) gehabt.
Seit Wladimir Putin 2000 erstmals Präsident wurde, versucht er, die Macht der unter seinem Vorgänger Boris Jelzin in Schlüsselpositionen der Wirtschaft gelangten Oligarchen zu brechen. Zu denen, die in der "Gründerzeit" der russischen Wirtschaft einflussreiche Finanz- und Medienkonzerne aufbauten und in Putins Visier gerieten, gehörte auch der Öl-Milliardär Chodorkowski. Der Chef des Yukos-Konzerns hatte sich in die Politik eingemischt und war in Opposition zum Kreml gegangen. Schon vor ihm war 2003 sein Geschäftspartner Platon Lebedew festgenommen worden. Er sitzt bis heute in Haft.
Einer der ehemals mächtigen und dann ins Ausland geflüchteten Wirtschaftsbosse war der Medien- und Aluminiumunternehmer Boris Beresowski. Auch er hatte sich offen gegen Putin gestellt und 2000 in Großbritannien politisches Asyl erhalten. Die russischen Behörden legten ihm Wirtschaftsverbrechen zur Last und forderten seine Auslieferung. Im März 2013 wurde Putins schwerreicher Intimfeind tot in seinem Haus bei London gefunden. Die Todesumstände sind noch nicht geklärt, die Ermittler schließen Mord nicht aus.
Die meisten anderen Oligarchen haben sich mit dem Kreml arrangiert - wie Roman Abramowitsch, im Westen als Eigentümer des britischen Fußballclubs FC Chelsea bekannt. Sein Vermögen schätzt das Magazin "Forbes" auf 10,2 Milliarden US-Dollar (7,47 Mrd. Euro). Im kaum besiedelten Autonomen Bezirk der Tschuktschen im äußersten Nordosten Russlands investierte Abramowitsch viel Geld. Er hatte sich dort seit 1999 auch politisch engagiert und war bis 2008 Gouverneur. Im Juli zog er sich aus der Politik zurück, weil ein neues Gesetz Abgeordneten keine Konten im Ausland mehr erlaubt.