"Sie fordern echte Demokratie"
Seit mehreren Nächten schlafen sie zu Tausenden auf den sonst stauverstopften Boulevards von Hongkong. Trotzen den Regenstürmen, essen Snacks und Bananen und sammeln auch noch ihren eigenen Müll wieder ein. Studenten, Schüler, aber auch Zehntausende anderer Demonstranten lassen derzeit mit ihrem "zivilen Ungehorsam" die Führung in Peking spüren, dass sie nicht weichen wollen. Auf der einen Seite der Aufstand der Hongkonger Bürger – auf der anderen die Führung in Peking. Seit Donnerstagfrüh wird nun der Sitz von Hongkongs Verwaltungschef blockiert. Die Demonstranten fordern den Rücktritt des Chefs der Sonderverwaltungszone, Leung Chun Ying.
Alles läuft auf eine gefährliches Machtprobe hinaus. Dazu die wichtigsten Fragen.
Woran hat sich der Protest entzündet?
In zwei Jahren hätte die ehemalige britische Kronkolonie, die 1997 an China zurückgegeben wurde, die ersten freien Wahlen abhalten sollen. Ende August aber stieg Peking plötzlich auf die Bremse: Die Menschen in Hongkong werden zwar wählen dürfen – aber nur zwischen drei Kandidaten, die zuvor ausdrücklich von China gebilligt werden. Dieser Beschluss schürte den bereits vorhandenen Unmut über Peking. Tausende Studenten begannen in der Vorwoche mit Protesten, Schüler schlossen sich an, und auch die im Vorjahr gegründete Demokratiebewegung "Occupy Central with Love and Peace" zog mit.
Fordern die Demonstranten echte Demokratie für Hongkong – inmitten des kommunistischen Chinas?
"Teile der Bevölkerung Hongkongs, darunter diejenigen, die jetzt demonstrieren, tun das tatsächlich: Sie fordern echte Demokratie", sagt Sinologin Agnes Schick-chen. Man sehe sich in Hongkong zwar als chinesisch, aber mit einer eigenen Identität, schildert die Professorin an der Uni Wien dem KURIER. "Und zu dieser Identität gehört Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dazu."
Wer führt die Proteste in Hongkong an?
Eine zentrale Führungsfigur gibt es nicht. Als Gründer der Demokratiebewegung "Occupy Central with Love and Peace " spielt Uni-Professor Benny Tai (50) eine tragende, wenn auch eher vorsichtige Rolle. Frecher, aufmüpfiger und viel sichtbarer erkämpfte sich hingegen der erst 17-jährige Schüler Joshua Wong internationale Aufmerksamkeit. Schon als 14-Jähriger hatte sich der spindeldürre Schülerführer mit Peking angelegt, als China in Hongkongs Schulen "Moral- und Vaterlandsunterricht" durchsetzen wollte. Tausende Schüler und Eltern folgten Joshua Wongs Protestaufruf – und China zog sein Ansinnen tatsächlich zurück. Auch dieses Mal will Wong durchhalten und weiter protestieren, bis Hongkongs Verwaltungschef zurücktritt und den sieben Millionen Einwohnern echte, freie Wahlen ermöglicht werden.
Wie lange wird Peking den – friedlichen – Demonstrationen zusehen? Ist ein gewaltsames Vorgehen zu befürchten?
Vor allem den älteren Demonstranten in Hongkong ist unvergessen, wie Chinas Führung 1989 mit den Protesten auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) verfuhr: der Aufstand endete in einem Massaker, Panzer rollten den Widerstand nieder. Entsprechende Ängste vor einem "Mini-Tiananmen" herrschen denn auch in Hongkong. "Leider ist im Moment nichts ganz auszuschließen", gibt auch China-Expertin Agnes Schick-Chen zu bedenken. "Noch immer ist nicht klar, für welche Richtung Chinas neuer Staatschef Xi Jinping steht." Tatsächlich habe Peking, so die Sinologin, "wenig Handlungsspielraum. Es geht gar nicht nur um Hongkong. Das Grundproblem ist vielmehr, dass Teile der Bevölkerung versuchen, mit Peking zu diskutieren, wie es regieren soll. Das könnte Signalwirkung für das ganze Land haben." Aus Sicht Pekings müsse man sich also fragen: "Was, wenn das Schule macht?"
In Festland-China werden bereits Menschenrechtsaktivisten verhaftet, um jede Art von Solidarität mit Hongkong zu unterbinden. Presseberichte aus und über Hongkong werden zensuriert.