Politik/Ausland

Hongkong: "Haben Angst, hören aber nicht auf"

In der Nacht auf Freitag keimte erstmals Hoffnung auf Entspannung in der Krise um Hongkongs politische Zukunft auf. Die Anführer der Demonstranten akzeptierten ein Gesprächsangebot von Regierungschef Leung Chun-ying. Man setzt auf einen "offenen Dialog" über mehr Demokratie in der ehemaligen britischen Kronkolonie. Am Freitag kam es allerdings wieder zu Zusammenstößen, in zwei belebten Einkaufsmeilen in der Metropole lieferten sich die beiden Seiten Auseinandersetzungen.

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Auch am Donnerstag hatte sich die Lage vor dem Hongkonger Regierungsgebäude immer mehr zugespitzt. Unter den Tausenden Demonstranten kursierte das Gerücht, dass Tränen- und Pfeffergaskartuschen und Plastikmunition ins Regierungsgebäude geliefert worden seien. In Rettungswägen. Bedrohlich wirkt auch die Kaserne auf der anderen Seite der Menge: Hier sind 6000 Mann von Chinas Volksbefreiungsarmee stationiert.
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Die Angst vor einem Eingreifen der Polizei bleibt, wie auch Eda (19) im Telefonat mit dem KURIER deutlich macht. Die Studentin hatte zuvor alle Schüler aufgefordert, nach Hause zu gehen. "Die Situation wird immer heikler. Ich fürchte wirklich, dass Leute in Gefahr sind", sagte sie leise. "Doch wir Studenten bleiben. Wir müssen das jetzt tun", sagte sie mit wieder fester Stimme. "Wir wollen, dass wir die Politiker, die wir 2017 wählen können, selbst bestimmen dürfen."

Ultimatum verstrichen

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Eben das will Peking aber nicht. Auch das Ultimatum der Demonstranten, das Regierungschef Leung Chun-ying bis Mitternacht abzutreten habe, ließ man ergebnislos verstreichen.

Abrücken wollen die Demonstranten vorerst trotzdem nicht, wie etwa der Finanzanalyst Marco Leung (24). Untertags arbeitet er normal, so wie seine Freunde auch, mit denen er via WhatsApp in ständigem Kontakt sei. "Sie kommen alle am Abend. Wir halten durch. Und wenn sie Tränengas einsetzen, laufen wir weg und kommen morgen wieder."

Der junge Mann fordert wie alle anderen hier im Zentrum der Wirtschaftsmetropole die Änderung des Wahlsystems, den Rücktritt des Verwaltungschefs und eine Entschuldigung für den Tränengaseinsatz vom Sonntag. Nachsatz: "Auch wenn sie bisher keine Anzeichen in diese Richtung gemacht haben."

Was sagen seine Eltern dazu? "Sie waren nicht sehr erfreut, dass ich mich gleich den Demonstranten angeschlossen habe. Aber jetzt stehen sie hinter mir", sagt der Finanzanalyst. Und seine Kollegen? "Die paar in meinem Alter sind auch hier. Die meisten sind aber in ihren Vierzigern, sie akzeptieren und respektieren unsere Forderungen", erzählt Marco.

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Österreichs Handelsdelegierter Christian Schierer ist beeindruckt: "Alle sind ruhig, die Redner peitschen auch niemanden auf. Solche Demonstranten wünscht man sich", lacht er. "Einen Rücktritt des Regierungschefs halte ich für undenkbar. Aus heutiger Sicht glaube ich auch nicht an ein Muskelspiel von Peking mit diversen Eskalationsstufen." Dennoch ist er beeindruckt, dass die Gesprächspartner des KURIER alles von sich preisgeben.

Tiananmen im Kopf

Soziologie-Professor Rodney Chu ist auch nicht so gelassen. Er ist stolz auf seine Studenten, die hier friedlich demonstrieren und dafür einstehen, sich und andere mit Getränken und Essen versorgen; aber er hat Angst um die jungen Leute. "Es wird bald losgehen", sagt der 52-Jährige düster. Womit rechnet er? "Wenn ich das wüsste! Sie reden ja nicht mit uns. Alles ist möglich." Und dann fällt das Wort: Tiananmen. Das Massaker am Pekinger Platz des himmlischen Friedens vor 25 Jahren. Der friedliche Protest endete mit einem Armee-Einsatz, Hunderten Toten. "Ich glaube nicht, dass es wie damals wird", sagt der Uni-Professor. Doch seine Angst kann er nicht vertuschen: Er gerät ins Stottern und beendet das Gespräch.