Hollande will Revanchelust kanalisieren
Von Danny Leder
Francois Hollande, der über seinen Sprachgebrauch besonders wacht, signalisierte einen radikalen Einschnitt in seinem Anti-Terror-Diskurs: in einer TV-Rede um ein Uhr morgens am vergangenen Freitag, also schon wenige Stunden nach dem Gemetzel von Nizza, hatte der Staatschef erstmals von „islamistischen Terrorismus“ gesprochen. Bisher, auch nach den Anschlägen des Vorjahrs, hatte Hollande immerzu nur „den Terrorismus“ als Feind bezeichnet und den Begriff „Islamismus“ (der für die radikale und politische Auslegung des Islams steht) vermieden, um anti-muslimische Reaktionen nicht weiter anzuheizen.
Diese Rücksichtnahme wurde von seinem härter auftretenden Premier Manuel Valls nicht geteilt. Die konservativen bis rechtsrechte Opposition warf Hollande dieses Tabu als Zeichen seiner Unentschlossenheit vor.
Inzwischen fiel ein weiteres verbales Tabu auf Seiten der SP-Staatsführung. Innenminister Bernard Cazeneuve, der in seiner Wortwahl noch ausgewogener als Hollande erscheint, rief wörtlich „alle patriotischen Franzosen“ dazu auf, sich der sogenannten „operationellen Reserve“ anzuschließen, sofern sie sich dazu imstande sehen. Es handelt sich um eine Hilfstruppe aus pensionierten Gendarmen und freiwillig dienenden Zivilisten. Diese erhalten eine militärische Grundausbildung und können, je nach Eignung, für Verwaltungsaufgaben, Überwachungsaktionen aber auch Kampfeinsätze herangezogen werden.
Markenzeichen von Le Pen
Dass der SP-Innenminister in diesem Zusammenhang an „patriotische Franzosen“ appellierte, mag in Ländern, wo man „die Franzosen“ sowieso und zu Unrecht für besonders nationalistisch hält, nicht weiter erstaunen. Aber in Wirklichkeit war der Begriff „patriotisch“ in den letzten Jahren vor allem ein Markenzeichen der Nationalpopulistin Marine Le Pen, die ja auch den „patriotischen Frühling“ als Leitbegriff für ihre gemeinsame Veranstaltung mit FPÖ-Chef Strache in Vösendorf im Juni vorgegeben hatte.
Die zunehmend „patriotischen“ Aufrufe der SP-Regierungspolitiker sind ein weiterer Versuch, eine neue Balance zwischen der anti-islamistischen Aktion und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes zu finden. Frankreich hat jetzt, nach dem dritten Groß-Anschlag und einem halben Dutzend Einzelmorde durch Dschihadisten seit 2015, fast den Siedepunkt erreicht, ab dem eine gewaltsame Retourkutsche durch rechtsradikale Einzeltäter oder Kleinstgruppen zu befürchten sind (Militante rechtsextreme Gruppen sind in Frankreich besonders schwach und vermochten bisher kaum Straßengewalt auszuüben). Der Chef des französischen Inlandsgeheimdiensts warnte erst kürzlich vor dieser Gefahr aber auch vor Zusammenstößen entlang ethno-religiöser Bruchlinien in urbanen Zonen.
Angebot an junge Muslime
Um das wachsende Gefühl der Hilflosigkeit und auch die Revanchelust abzufangen und zu kanalisieren, setzt die Staatspitze auch auf die oben erwähnte Rekrutierungskampagne für die „operationelle Reserve“. Das zielt auf alle, die nicht mehr tatenlos angesichts des dschihadistischen Terrors verharren wollen, und darunter auch auf Jugendliche aus muslimischen Familien. Diese sind schon jetzt sowohl in dieser Reserve-Truppe als auch in der französischen Berufsarmee stark vertreten. Oft sind es ja reine Zufälle, die darüber entscheiden, ob ein Jugendlicher in einem Brennpunkt-Viertel in den Bann der Dschihadisten gerät oder den Rekrutierungsangeboten der Armee Folge leistet – in einer Armee, in der ein junger Muslim nicht an jenen Aufnahme-Diskriminierungen scheitert, die leider in anderen Sparten noch viel zu oft noch zum Tragen kommen.