Helfer im Visier - doppeltes Grauen
Von Stefan Schocher
Syrien ist ein humanitäres schwarzes Loch: Nach mehr als fünf Jahren Krieg herrscht Bedarf ohne Ende, geschätzte acht Millionen intern Vertriebene und all das inmitten eines tobenden Bürgerkrieges mit unüberschaubaren Fronten, wechselnden Allianzen und in Schüben zunehmender Brutalisierung. Um einen Hilfskonvoi von der türkischen Grenze nach Aleppo zu organisieren (rund 60 Kilometer), brauchte man vor einem Jahr laut Rotem Kreuz das Okay von rund 70 Milizen sowie der Regierung in Damaskus. Was solche Okays wert sind, hat der Luftangriff auf einen von der UNO ausverhandelten und vom Roten Kreuz durchgeführten Konvoi am Montag gezeigt. Und wie gefährlich die Lage im Allgemeinen ist, der Angriff auf eine Einrichtung der Ärzte-Hilfsorganisation UOSSM am Mittwoch mit vier Toten.
Bereits am Dienstag hatte die UNO in Folge des Angriffs auf den Konvoi alle Operationen in Syrien eingestellt. Das Rote Kreuz stellte vorübergehen die Operationen in Nord-Syrien ein. An eine komplette Einstellung denke man nicht, so Antoine Grand, Vize-Chef der Operativen Einsätze des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK), am Tag nach der Attacke.
Politikum
Humanitäre Hilfe sei zu einem Politikum geworden, über das auf höchster Ebene verhandelt werde, kritisierte Grand vor erst zwei Wochen im KURIER-Gespräch. Am Dienstag bezeichnete er den Angriff auf den Konvoi am Vortag als „eindeutig symbolisch“. Zugleich sei er nur „einer in einer ganzen Serie.“
Denn humanitäres Engagement für Spitäler und Schulen bis hin zu Hilfslieferungen sind nicht nur Verhandlungsmasse geworden sondern auch Ziele – eine Tendenz, die nicht nur für Syrien Gültigkeit hat. So wurden Einrichtungen der Ärzte Ohne Grenzen (MSF) in Afghanistan und im Jemen bombardiert – obwohl deren Koordinaten regelmäßig an die militärischen Kräfte in der Region (im Fall Afghanistans die USA; im Fall des Jemen an die von Saudi Arabien geführte Allianz) übermittelt wurden. Getroffen wurde aber jeweils punktgenau.
Syrien aber ist ein Sonderfall. Alleine das IKRK und die syrische Schwesternorganisation Syrischer Roter Halbmond haben 54 Helfer verloren. Hinzu kommen zahlreiche Helfer von anderen NGOs, die verschleppt, bombardiert oder ermordet wurden. Vor allem lokale Organisationen, die in Rebellengebiet agieren, werden gezielt angegriffen. Etwa die Weißen Helme, die Bergedienst nach Luftangriffen leisten. Wenn sie eintreffen, kommt es in Regelmäßigkeit zu Folgeangriffen. Sie sind vor allem in Idlib aktiv und stecken daher aus Sicht Damaskus’ sowie Moskaus mit Dschabat Fatah al Sham (zuvor Al-Nusra), der El-Kaida-Kontakte nachgesagt werden, im Bunde.
Durch die Fragmentierung der Kriegsparteien stehen außerdem zahlreiche Gebiete unter Belagerung. Hunderttausende Menschen leben in diesen Zonen, die entweder von der Armee oder von Rebellen gehalten werden. Und das gezielte Aushungern solcher Gebiete ist zu einer gängigen Kriegsstrategie aller Parteien geworden. Entsprechend gering ist das Interesse militärischer Akteure, Lieferungen durchzulassen. Zu den Syrien-Internen Feindschaften kommen regionale und internationale. So lehnt Damaskus etwa aus der Türkei kommende Lieferungen ab.
Krista Armstrong, IKRK-Sprecherin für den Nahen Osten betont, humanitäre Hilfe sei nicht verhandelbar sondern ein Recht. Derzeit arbeite man in vertraulichen Gesprächen daran, Kontakte wieder herzustellen, Sicherheitsgarantien auszuverhandeln. Klar aber sei: Ein Konvoi hier, einer da sei nicht genug. Was dringend benötigt werde, seien simplifizierte Abläufe anstatt langwieriger Verhandlungen.
Anzumerken bleibt, dass dies nur für Westsyrien gilt. Zu Gebieten unter Kontrolle der Terrorgruppe Islamischer Staat gibt es keinen Zugang. Die kurdischen Gebiete im Norden Syriens wiederum unterliegen türkischer Blockade. Und auch über die kurdischen Gebiete im Irak, die mit der Türkei den Ausgleich suchen, kommen kaum Güter.