Politik/Ausland

Harte Prüfungen für Europa

Für Europa wird 2017 ein bedeutendes, wenn nicht sogar entscheidendes Jahr. In Frankreich, Deutschland und den Niederlanden stehen richtungsweisende Wahlen an, sowohl für die drei Staaten an sich als auch für die gesamte EU. Die zentrale Frage dabei lautet: Kommt der vom einen Teil der Bevölkerung gefürchtete, vom anderen dagegen herbeigesehnte Rechtsruck tatsächlich? Und wie wirkt sich das als sicher geltende Erstarken populistischer, elitenfeindlicher Kräfte auf die Zukunft der Union aus, die schon durch Brexit, Flüchtlingszustrom und Terror vor den größten Herausforderungen ihrer Geschichte steht?

Der erste der drei international beobachteten Urnengänge findet am 15. März in den Niederlanden statt, wo ein neues Parlament gewählt wird. In diesem dürfte die rechte Freiheitspartei von Geert Wilders, der für einen Austritt seines Landes aus der EU eintritt, von der drittstärksten zur stärksten Kraft werden. Es ist allerdings zweifelhaft, ob sich ein Koalitionspartner für den mehrfach verurteilten, offen ausländer- und islamfeindlichen 53-Jährigen findet. Eine Regierungsbeteiligung ist daher unwahrscheinlich.

Eine von Wilders engsten Verbündeten, die französische Rechtsaußen-Politikerin Marine Le Pen, hat dagegen realistische Chancen auf einen Einzug in den Élysée-Palast. Derzeit deutet alles darauf hin, dass es nach der ersten Runde der französischen Präsidentenwahlen Ende April am 7. Mai zu einer Stichwahl zwischen der 48-jährigen Chefin des Front National und dem konservativen Ex-Premier François Fillon kommen dürfte. Und auch wenn dieser laut Umfragen derzeit noch bessere Karten hat – in einem halben Jahr kann viel passieren.

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Aufwind haben rechte Kräfte auch in Deutschland. Bei denBundestagswahlen im September wird voraussichtlich erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine rechtspopulistische Partei in das deutsche Parlament einziehen. In Umfragen liegt dieAlternative für Deutschland(AfD) unter ihrer Chefin Frauke Petry derzeit bei rund elf Prozent. Ihr Amt dürfte die rechte Partei Kanzlerin Angela Merkelzwar laut heutigem Stand nicht kosten, ihr aber weiteren erheblichen Schaden zufügen.

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Ein Schaden für die EU ist der von den Briten im Juni per Referendum beschlosseneBrexit. Bis spätestens Ende März will Premierministerin Theresa May den Austrittsantrag nach Artikel 50 des EU-Vertrags stellen. Das künftige Verhältnis Großbritanniens zu den verbleibenden 27 EU-Ländern muss dann innerhalb von zwei Jahren ausverhandelt werden – was May heuer zur wohl meistbeschäftigten Regierungschefin neben Angela Merkel machen dürfte.

Ärger droht ihr dabei nicht nur in Brüssel: In London herrscht weiter Uneinigkeit, mit welchen Zielvorgaben man in die Verhandlungen gehen soll. Und Schottland droht mit einem neuen Unabhängigkeitsreferendum, sollte der Brexit tatsächlich vollzogen werden.

Unklar ist auch das künftige Verhältnis Europas zu den USA. Am 20. Jänner wird in Washington der 45. Präsident der Vereinigten Staaten angelobt: Donald Trump. Seine offen gezeigte Sympathie für Russlands StaatschefWladimir Putin,das angedrohte Ende des Freiheihandelspaktes TTIP und die Ankündigung, sich militärischen Beistand durch die USA deutlich teurer bezahlen zu lassen als bisher, sorgt in Europa für Beunruhigung. Und auch die Frage, wie der Populist in Sachen Syrien vorgehen wird, beschäftigt Europa – nicht zuletzt wegen der vielen Flüchtlinge aus der Region (siehe auch unten).

Türkei: Noch mehr Macht für Präsident Erdoğan

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Recep Tayyip Erdoğan festigt seine Macht weiter. Vermutlich im Sommer soll ein Verfassungsreferendum stattfinden, das dem türkischen Staatschef noch mehr Befugnisse verleihen dürfte. Stimmt eine Mehrheit der Bevölkerung zu, könnte er künftig etwa per Dekret regieren. Erdoğan herrscht bereits jetzt mit harter Hand über sein Land, was international kritisiert wird. Die Auseinandersetzungen mit der EU wegen Erdoğans zunehmend autoritären Kurses nach dem Putschversuch Mitte Juli gefährden den 2016 vereinbarten Flüchtlingspakt. Wird dieser aufgekündigt, könnten die Flüchtlingszahlen aus Syrien, Nahost und Nordafrika erneut drastisch ansteigen. Nicht zuletzt aus diesem Grund sollen heuer die geplanten Migrationspartnerschaften der Europäischen Union mit afrikanischen Staaten vorangetrieben werden.

Europa: Tauziehen um Frieden in der Ostukraine

Obwohl wesentliche Fortschritte unwahrscheinlich sind, werden auch heuer die Bemühungen um einen Frieden im Osten der Ukraine fortgesetzt. Eine wichtige Rolle als Vermittler in dem seit 2014 andauernden Konflikt zwischen der Regierung in Kiew und prorussischen Rebellen spielt Österreich. Es hat 2017 den Vorsitz in der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE) inne (siehe S. 7). Unklar ist, welche Position die USA künftig in Bezug auf die Ukraine einnehmen. Der designierte Präsident Trump gilt bekanntlich als großer Russland-Freund.

Iran: Reformer messen sich mit Konservativen

Im Mai finden im Iran Präsidentenwahlen statt. Bei diesen dürfte es neuerlich zu einem Kräftemessen zwischen konservativen Kräften und den Reformern rund um Präsident Hassan Rouhani kommen. Ein von Donald Trump in den Raum gestelltes Ende des Atomdeals mit Teheran könnte den Konservativen dabei Auftrieb verschaffen. Präsidentenwahlen gibt es 2017 auch in Chile, Angola, Liberia und Ruanda, in Thailand hat die Militärjunta Parlamentswahlen angekündigt. In Venezuela versucht die Opposition, Machthaber Maduro per Referendum zu stürzen.

Terrorgefahr: Chaos in Syrien und Irak bedroht Europa

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Die internationale Allianz gegen den Islamischen Staat (IS) setzt ihre Offensiven in Syrien und im Irak auch heuer fort. Die Terrormiliz hat bereits große Gebietsverluste erlitten, bleibt aber weiter brandgefährlich. Und diese Gefahr reicht bis nach Europa: Laut Experten steigt die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen in Europa, je mehr die Islamisten in den von ihnen kontrollierten Gebieten in Nahost unter Druck geraten. Auch abseits der IS-Gebiete wird das heurige Jahr in Syrien von Gewalt geprägt sein. Das Regime von Präsident Bashar al-Assad brachte in den vergangenen Monaten zahlreiche Rebellengebiete in seine Hand, der kürzlich ausgehandelte Waffenstillstand ist fragil. Unsicherheit bringt auch die Rolle der Kurden, die entlang der türkischen Grenze einen großen Streifen Land eingenommen haben. Und auch in diesem Konflikt ist die Haltung des neuen US-Präsidenten die große Unbekannte.