Politik/Ausland

Ex-Außenministerin: "Licht am Ende des Tunnels"

Wir müssen endlich das Licht am Ende des Tunnels sehen“, sagt Griechenlands frühere Außenministerin Dora Bakoyannis (59). Doch auch wenn nach fünf Jahren Krise die ersten Wirtschaftsdaten allmählich wieder einen Hauch nach oben zeigen, spürt die Bevölkerung davon nichts. Und für viele Griechen könnte es noch schlimmer kommen, warnt Bakoyannis.

KURIER: Wann geht es für Griechenland wieder aufwärts?

Dora Bakoyannis: Ab der zweiten Hälfte 2014, wenn es nach Plan ginge. Aber ich bin mir nicht sicher – weil die Sturheit, mit der die Troika (EU-Kommission, EZB und IWF) bestimmte Fragen angeht, nicht hilft. Ich will deutlicher werden: Wir haben ein Gesetz, wonach Wohnungen im Wert von bis zu 200.000 Euro nicht versteigert werden dürfen, auch wenn die Besitzer überschuldet sind. Das passt der Troika nicht. Sie will Versteigerungen für alle verschuldeten Wohnungsbesitzer durchsetzen. Aber was bedeutet das? Die Preise werden verfallen, Hunderttausende Wohnungen werden auf den Markt kommen, die nie verkauft werden können, gerade in ärmeren Gegenden. Und das heißt vor allem, dass Hunderttausende Menschen auf der Straße stehen werden. Man kann doch diese Leute nicht aus ihren Wohnungen werfen.

Die Troika wirft Athen vor, es sei mit den Reformen immer noch zu langsam.

Keine Frage, wir müssten schneller mit unseren Reformen vorankommen, aber die sozialen Fragen in Griechenland müssen jetzt endlich ernst genommen werden. Die Troika kommt und sieht sich die Zahlen an – aber es handelt sich nicht um Zahlen, sondern um Menschenleben.

Sie sprechen von einer „humanitären Krise“?Vor Kurzem habe ich einen TV-Bericht gesehen, wie eine alleinerziehende Mutter ihren Sohn in Athen in ein Kinderheim brachte, weil sie kein Geld mehr hatte, um Essen zu kaufen. Das Kind hat geweint und gebettelt: „Bitte nimm mich wieder mit heim. Ich verspreche dir, ich werde nie mehr essen wollen.“ Stellen Sie sich das vor: in Europa des Jahres 2013! Als Mutter und vierfache Großmutter hat es mit schier das Herz zerrissen. Deshalb poche ich darauf: Reformen – ja, aber bitte nicht Maßnahmen, die am Ende zu einer sozialen Explosion führen.

Vor weiteren Finanzspritzen für Griechenland schreckt Europa zurück. Was also kann Europa tun, um Griechenland wieder auf die Beine zu helfen?

Wir brauchen eine stärkere europäische Wirtschaftsunion, ein europäisches Bankensystem und Hilfe für unsere Liquidität. Programme, die Klein- und Mittelbetriebe finanzieren. Griechenland hat das Potenzial, wir werden aus dieser Krise rauskommen. Aber wir können das nicht zu einem Preis, der höher ist als der Preis eines Krieges.

Der reiche Norden gegen den armen Süden Europas – ist das die Wahrnehmung in Athen?

Alle diese Stereotypen nach dem Motto: „Die Südländer liegen den ganzen Tag nur faul herum und arbeiten nicht“ oder „die Nordländer, die sind so herzlos“ – das ist doch alles Quatsch. Mit Stereotypen werden wir in Europa nie weiterkommen. Unser größter Feind ist der Populismus, das wissen wir Griechen: Wir haben ihn zur gleichen Zeit wie die Demokratie erfunden.

In welchen Bereichen hat Griechenland Reformen umgesetzt?

Wir haben Riesenfortschritte beim Pensionssystem gemacht und im Budget: Wir werden heuer zum ersten Mal einen Überschuss von über 800 Millionen Euro im Primärhaushalt (ohne Berücksichtigung der Zinskosten, Anm.) erzielen. Wir haben unsere Wettbewerbsfähigkeit gesteigert. Aber wir müssen einmal Atem holen. Unsere Steuerpolitik ist total verrückt, unsere Leute können diese Steuern nicht zahlen. Aber dann heißt es von Seiten der Geldgeber: Zehn Millionen Griechen zahlen soundsoviel Steuern, das sind soundsoviel Staatseinnahmen – aber so ist es eben nicht. Von zehn Millionen Griechen sind drei Millionen arbeitslos.

Wie weit waren Politiker und Abgeordnete bereit, zu sparen?

Die Parlamentarier haben jetzt 30 Prozent weniger Gehalt als früher.

Gibt es inmitten der Krise auch positive Entwicklungen?

Die persönliche Initiative wurde bei uns wieder neu erfunden. Es gibt junge Leute, die qualitativ hochwertige Agrarprodukte herstellen – und exportieren. In der Kleinstadt Karpenisi habe ich zuletzt eine kleine Metzgerei besucht, die begonnen hat, erfolgreich nach Deutschland zu exportieren. Stellen Sie sich vor: Würstel nach Deutschland! Sie glauben nicht, wie stolz es mich macht. Es gibt im IT-Bereich neue Firmen, die Programme an die NASA verkaufen. Wenn die Griechen ein gutes System haben, zeigen sie, was sie können. Wir müssen also solch ein gutes Staatssystem schaffen. Aber das ist keine Frage von einem Jahr, es wird lange dauern. Schließlich haben wir 30 Jahre lang Fehler gemacht – mit Klientelismus und Korruption.

Wird angesichts der großen sozialen Krise bei den nächsten Wahlen die linke Syriza-Partei triumphieren?

Syriza hat ein sehr großes Problem: die totale Irrealität ihrer Vorschläge. Die Griechen sind jetzt, nach Jahren der Krise, viel reifer und realistischer geworden. Sie wissen, es gibt keinen magischen Weg aus unseren Problemen. Harry Potter gibt es nur in Büchern, nicht in der Politik.

Die positive Nachricht zuerst: Mit Griechenlands Wirtschaft geht es langsam bergauf. Nach der langen, schweren Rezession rechnet die Regierung in Athen im kommenden Jahr wieder einem zarten Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent. Heuer dürfte das BIP-Minus mit vier Prozent etwas besser ausfallen als zu Jahresbeginn erwartet.

Die Schuldentilgung nicht miteingerechnet, weist der Haushalt sogar einen primären Überschuss von 812 Mio. Euro aus, teilte das Finanzministerium mit. Grund für Entwarnung gibt deshalb noch lange nicht, denn im Budget klafft ein Milliardenloch. „Die Probleme kommen 2014 und 2015, denn da muss die Hauptlast der Schulden in Höhe von 45,5 Milliarden Euro zurückgezahlt werden“, sagt Bruno Freytag, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Athen.

Da das Land nicht in der Lage ist, diese Beträge aufzubringen, „muss ein zweiter Schuldenschnitt kommen“ ist Freytag überzeugt. Dies sei entweder über niedrigere Zinsen oder eine Erstreckung der Kreditlaufzeiten möglich. Diese Meinung vertritt auch Otmar Issing, früher Chefökonom der Europäischen Zentralbank (EZB). Die EZB dürfe sich aber nicht daran beteiligen, betont Issing stets – das wäre verbotene Staatenfinanzierung.

Auch über ein weiteres, drittes Hilfspaket wurde zuletzt spekuliert. Die Rede ist von mehr als zehn Milliarden Euro, die das Land in den nächsten Jahren benötigen könnte. Die EU will vorerst aber noch nichts davon wissen und pocht auf die Umsetzung der ausstehenden Privatisierungen – etwa bei der Staatsbahn. Die Kontrollore der Geldgeber-Troika aus EU, Währungsfonds und EZB reisten am Donnerstag ohne Ergebnis aus Athen ab und wollen ihre Visite Anfang Dezember fortsetzen. Für problematisch hält Freytag die nach wie vor fehlenden Investitionen, „sowohl von Inländern als auch von Ausländern“. Dabei mangle es oft nicht nur an Geld, sondern auch an neuen Ideen.