Politik/Ausland

Juncker rechnet ab: "Ich fühle mich verraten"

Immer wieder hatte er sich als Vermittler angeboten; hatte gedrängt, die soziale Lage in Griechenland bei den Schuldengesprächen zu berücksichtigen; hatte Alexis Tsipras in Brüssel empfangen, ihn öffentlich als seinen Freund bezeichnet, bis zuletzt, trotz allem.

Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat in den vergangenen Wochen als (letzter) Verbündeter des griechischen Premiers in Brüssel gegolten. Am Montag hat er in einer emotionalen Rede mit Tsipras abgerechnet.

"Taktik und Spielchen"

"Ich fühle mich verraten", sagte Juncker. Tsipras habe auf dem Weg zu einer Einigung, zu der nicht mehr viel gefehlt habe, den Verhandlungstisch verlassen: "Egoismus, Taktik und populistische Spielchen hatte Vorrang vor allen anderen Faktoren."

Besonders enttäuscht sei er darüber, dass Tsipras vor dem Referendum für ein "Nein" zu den Sparvorschlägen der Eurozone werben will. Juncker warf Tsipras vor, "eine Demokratie gegen 18 andere auszuspielen".

Junckers öffentliche Abrechnung mit Tsipras konnte auch als eine Wahlrede an das griechische Volks verstanden werden: Der Kommissionschef erläuterte die wichtigsten Punkte aus den Sparvorschlägen, versicherte den Griechen, dass es keine Kürzungen bei Löhnen und Gehältern geben werde. "Das ist kein dummes Sparpaket."

Junckers Appell: "Ich rufe die Griechen zu einem Ja beim Referendum auf." Allen müsse klar sein, worüber – unabhängig von der genauen Fragestellung – am Sonntag abgestimmt werde: "Ein "Nein" beim Referendum wäre ein ’Nein’ zu Europa."

Arbeiten am "Plan B"

Junckers Rede machte eines deutlich: In der Eurozone denkt man schon an die Zeit nach dem Referendum in Griechenland.

Zwar gab es auch am Montag noch Appelle an Athen, gleich an den Verhandlungstisch zurückzukehren und noch vor Dienstag Abend einen Kompromiss zu finden. "Die Tür ist weiter offen", sagte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. "Wir sind nur Zentimeter von einer Einigung entfernt", sagte Währungskommissar Pierre Moscovici. Doch dass Tsipras zu einem Deal in Brüssel bereit ist und die Volksabstimmung absagt, daran glaubt in Brüssel niemand.

Werben für ein "Ja"

Darum will man jetzt für ein "Ja" bei der Abstimmung werben, die Griechen bestmöglich über Sparvorschläge informieren, und darüber, was bei einem "Nein" am Sonntag droht – in der Hoffnung, dass danach rasch neue Verhandlungen starten können. Entweder, weil Tsipras Wort hält und sich dem Resultat des Referendums verpflichtet – oder, weil er zurücktritt und eine konstruktivere Regierung folgt.

"Brücke" bis Sonntag

Jetzt wird in Brüssel daran gearbeitet, die Zeit bis nach dem Referendum gut zu überbrücken. Griechenland soll bis dahin nicht Pleite gehen, auch wenn die Regierung Montagabend die Rückzahlung der am Dienstag fälligen IWF-Schulden endgültig absagte. Man müsse versuchen, "eine Brücke zu bauen von Dienstagabend, wenn das Hilfsprogramm ausläuft, bis Sonntagabend, wenn das Ergebnis des Referendums feststeht", sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Tsipras’ neuerlicher Begehr, das Hilfsprogramm bis nach dem Referendum zu verlängern, wurde jedoch abgelehnt.

Der Liveticker zur Nachlese.

Eigentlich hätte Angela Merkel am Montag feiern wollen. Doch auch beim Festakt, mit dem die CDU ihr 70-jähriges Bestehen zelebrierte, konnte die deutsche Kanzlerin dem Griechen-Drama nicht entfliehen. Nach zwei Tagen des Schweigens rief sie Mittags zu einem Krisentreffen im Kanzleramt; alle Chefs der im Bundestag vertretenen Parteien waren geladen.

Die Botschaft, die Merkel danach an Athen richtete, war recht eindeutig: "Sollte die griechische Regierung, etwa nach einem Referendum, weitere Verhandlungen wünschen, werden wir uns dem nicht verschließen." Wenn das Votum allerdings gegen das Angebot ausfalle, sei der Spielraum weg.

Diese einladende Position ist auch eine Reaktion auf den steigenden Druck, dem Merkel ausgesetzt ist. Nicht nur die Opposition äußerte Kritik an ihrem Weg, auch sonst der Kanzlerin eher gewogene Medien stellten ihren Kurs infrage. Es brauche "politische Führungsfiguren, die, anders als die deutsche Kanzlerin, bereit sind, dafür etwas zu riskieren", schrieb etwa der Spiegel.

Vermächtnis

Eine harte Ansage, die deutlich macht, was für Merkel auf dem Spiel steht. Die deutsche Kanzlerin setzt mit einem Scheitern der Eurozone auch ihr eigenes Vermächtnis aufs Spiel. Keiner der europäischen Staats- und Regierungschefs ist schon so lange im Geschäft wie sie, dementsprechend viel Gewicht wird ihrem Wort beigemessen. Ob dies so bleibt, hängt auch von Erfolg oder Misserfolg ihrer Griechenland-Bemühungen ab. Auch in der deutschen Koalition mehren sich Reibereien. Keine andere Partei hat die Problemlage in Athen bisher genutzt, um sich über ein mögliches Versagen Merkels zu profilieren. Das könnte sich schnell ändern, wenn Athen tatsächlich pleite geht.

Merkel ist sich dieser Gefahr bewusst. Beim CDU-Festakt wiederholte sie einen Satz, der schon länger nicht mehr von ihr zu hören war: "Scheitert der Euro, scheitert Europa." Und sie selbst auch.

Warum bleiben Banken in Griechenland bis nächsten Montag geschlossen?

Weil ihnen sonst das Geld ausgehen würde. Schon in den vergangenen Monaten haben die Griechen viele Milliarden von ihrem Ersparten abgehoben und verstecken es zu Hause oder im Garten. Panisches Abräumen der Konten würde keine Bank auf der Welt überleben. Die "Bankferien" vermeiden, dass das griechische Bankensystem sofort kollabiert.

Wie kommen die Griechen jetzt zu Geld?

Bei Bankomaten dürfen 60 Euro pro Tag abgehoben werden. Mehr ist nicht möglich, weil die Banken nur noch über liquide Mittel von einer Milliarde Euro verfügen sollen. Bei ausländischen Kredit- und Bankomatkarten gibt es keine Begrenzung. Bei Urlaubern hängt es jedoch davon ab, ob die Bankomaten ausreichend gefüllt sind. Am Donnerstag sollen 850 Filialen für die Auszahlung von Pensionen öffnen.

Können nicht EZB oder griechische Zentralbank den Banken mit Geld aushelfen?

Jein. Die Zentralbank in Athen hat mit Bewilligung durch die EZB die Banken bereits mit 88,6 Milliarden Euro an Notkrediten versorgt. Damit wurden die Institute quasi am Leben erhalten. Eine Erhöhung ist vorerst unwahrscheinlich, weil die EZB solche Nothilfen nur in einem Euroland genehmigt, das sich an Reformen hält, die mit EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) vereinbart wurden. Das trifft für Griechenland nicht zu, weil das laufende Hilfsprogramm morgen ausläuft.

Ist Griechenland am 1. Juli wirklich pleite?

Bis Dienstag, 24 Uhr (Washingtoner Zeit), muss Athen eine Kreditrate von 1,55 Milliarden Euro an den IWF überweisen – was nicht passieren wird, hieß es am Montag von griechischen Regierungsvertretern. Pleite ist das Land damit noch nicht. Zuerst wird – wie mancher Kreditnehmer es kennt – Zahlungsverzug festgestellt und gemahnt. Auf frisches IWF-Geld darf das Land dann nicht mehr hoffen.

Welche Zahlungen werden noch bald fällig?

Laut Regierung in Athen ist die Auszahlung der Renten und der Gehälter im öffentlichen Dienst gesichert. Kreditrückzahlungen stehen aber jede Menge an: Für ganz kurz laufende Staatsanleihen, die vor allem griechische Banken gekauft haben, sind am 10. Juli zwei Milliarden und am 17. Juli eine Milliarde Euro fällig. Am 13. Juli wartet der IWF auf die nächste Kreditrate (450 Mio.). Heikel wird es am 20. Juli. Dann muss Griechenland Schulden in Höhe von 3,5 Milliarden Euro an die EZB zahlen. Ohne Hilfe wird das nicht zu stemmen sein. Die EZB darf nicht auf Geld verzichten – das wäre verbotene Staatsfinanzierung. Ohne weitere Rettungsgelder steht die Staatspleite damit unmittelbar bevor.

Wie haben die Finanzmärkte auf den Griechen-Schock reagiert?

Die große Panik blieb aus, an den europäischen Börsen ging es aber doch deutlich abwärts – um 2,5 bis 4,5 Prozent. Arg unter die Räder kamen aber die Banktitel mit Verlusten von fünf Prozent und mehr. Die Athener Börse bleibt diese Woche zu. Der Euro, der im asiatischen Handel verloren hatte, erwies sich als sehr robust.

Wird jetzt wieder die Drachme kommen?

Für heuer ist das auszuschließen. Das Vorbereiten und Drucken einer Währung dauert viele Monate. Im Notfall könnte die Regierung Pensionen und Löhne in Form von Schuldscheinen auszahlen, mit denen Griechen dann ihre Rechnungen begleichen könnten. Diese Schuldscheine wären wohl weniger wert als der Euro – die Kaufkraft würde sinken.