Politik/Ausland

Verstopfte Urnen, Gewalt: Die Parlamentswahl spaltet Georgien

Georgien droht nach seiner Parlamentswahl eine Zerreißprobe: Sowohl das Moskau-freundliche Regierungslager als auch die pro-europäische Opposition haben den Sieg für sich reklamiert. Das offizielle Ergebnis geht an die Regierungspartei: Die nationalkonservative Partei Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili kam nach Auszählung fast aller Wahlzettel auf 54,09 Prozent der Stimmen, erklärte Wahlleiter Giorgi Kalandarischwili in der Hauptstadt Tiflis mitteilte. Die Opposition erkennt das Ergebnis nicht an.

Die Opposition spricht weiter von Fälschung

"Wir erkennen die gefälschten Ergebnisse der gestohlenen Wahlen nicht an", sagte in der Nacht zum Sonntag (Ortszeit) die Chefin der größten Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung, Tina Bokuschawa.

Der Milliardär Bidsina Iwanischwili hatte die von ihm gegründete pro-russische Regierungspartei Georgischer Traum bereits am Samstag nach Schließung der Wahllokale zum Gewinner erklärt. Pro-europäische Oppositionsparteien sowie die ihnen nahestehende Staatspräsidentin Salome Surabischwili erklärten hingegen, die Opposition habe insgesamt eine Parlamentsmehrheit in der Kaukasusrepublik errungen.

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Die Prognosen wichen stark voneinander ab

Zuvor von Medien veröffentlichte Prognosen wichen stark voneinander ab. Der Sender Imedi TV, der der Regierungspartei nahesteht, prognostizierte für diese ein Ergebnis von 56 Prozent. Dem Sender Formula TV zufolge, der der Opposition nahesteht, konnte die Regierungspartei hingegen mit 41 Prozent und die Opposition insgesamt mit 52 Prozent der Stimmen rechnen. Der ebenfalls pro-oppositionelle Sender Mtawari Archi TV sah die Regierungspartei bei 42 Prozent und die Opposition bei insgesamt 48 Prozent.

Präsidentin: "Das europäische Georgien gewinnt"

Präsidentin Surabischwili  erneuerte ihren Vorwurf der Wahlmanipulation durch die Regierungspartei. "Das europäische Georgien gewinnt mit 52 Prozent trotz der Versuche, die Wahlen zu manipulieren, und ohne die Stimmen aus der Diaspora", erklärte Surabischwili auf X.

Der Verlierer solle die Größe haben, sich zu verabschieden

Die Leiterin der Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung, Bokutschawa, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, der Georgische Traum habe die Wahl verloren. "Wir werden das amtliche Endergebnis abwarten, aber der Verlierer sollte die Größe haben, seine Niederlage einzugestehen und sich zu verabschieden." Georgien habe sich für eine Zukunft in Europa entschieden.

Gewalt am Wahltag

Am Wahltag war es nach Angaben Surabischwilis zu Gewalt gekommen. "Ich möchte auf die zutiefst beunruhigenden Vorfälle von Gewalt in verschiedenen Wahllokalen hinweisen", erklärte die Staatschefin in Onlinediensten. Zuvor waren in Onlinenetzwerken Videos verbreitet worden, wonach es an mehreren Wahllokalen zu gewaltsamen Konfrontationen kam.

Die Opposition spricht von verstopften Wahlurnen

Außerdem war die Wahl von Vorwürfen der Wahlmanipulation und der Einschüchterung von Wählern überschattet. Die wahlbeobachtende Vereinigung junger Anwälte etwa berichtete von "erheblichen Wahlverstößen". Die Oppositionsparteien teilten zudem Aufnahmen von offenbar verstopften Wahlurnen im südöstlichen Dorf Sadachlo. Die Wahlkommission erklärte später die in diesem Ort abgegebenen Stimmen für ungültig.

Regierung spricht von Inszenierung

"Sie verstopfen Wahlurnen, schikanieren Wähler und schlagen Beobachter", beklagte die UNM-Spitzenpolitikerin Bokutschawa. Die UNM ist die Partei des inhaftierten Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili. Der Exekutivsekretär von Georgischer Traum, Mdinaradse, wies die Anschuldigungen als eine von der Opposition inszenierte "Provokation" zurück.

Internationale Wahlbeobachter waren vor Ort - auch aus Österreich

Die Parlamentswahl wird international genau beäugt. Laut Zentraler Wahlkommission nehmen Vertreterinnen und Vertreter von über 60 internationale Organisationen, darunter der OSZE, des Europarates und der NATO sowie des Europäischen Parlaments an Wahlbeobachtungen teil. "Man merkt, dass viele internationale, aber auch lokale Wahlbeobachter teilnehmen", erklärte auch der EU-Abgeordnete Reinhold Lopatka (ÖVP), der für das Europäische Parlament die Wahl verfolgt, am Samstag im Gespräch mit der APA.

Eine Abkehr von der EU droht

Die Europäische Union fürchtet, dass Georgien sich unter der Partei Georgischer Traum von seinem Ziel des EU-Beitritts abkehren und sich zu Russland hinwenden könnte. Ungarns rechtsnationalistischer Regierungschef Viktor Orban, dessen Land gerade die EU-Ratspräsidentschaft innehat, beglückwünschte allerdings Georgischer Traum zu einem "überwältigenden Sieg". Im Onlinedienst X erklärte er: "Die Menschen in Georgien wissen, was das Beste für ihr Land ist, und haben sich heute Gehör verschafft." Orban pflegt enge Beziehungen zum russischen Staatschef Wladimir Putin und kritisiert regelmäßig die westliche Unterstützung für die Ukraine in ihrem Abwehrkrieg gegen die russischen Invasionstruppen.

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Russland-freundlich versus EU-Perspektive

Die seit zwölf Jahren regierende Partei Georgischer Traum will die Beziehungen zu Russland ausbauen, während die Opposition den Anschluss an die Europäische Union sucht. Iwanischwili hatte angekündigt, im Falle eines Wahlsieges seiner Partei werde sie Oppositionsparteien verbieten. Es gelte zu verhindern, dass das Land mit seinen rund 3,6 Millionen Einwohnern in einen direkten Konflikt mit Russland gedrängt werde. Oppositionskandidaten wirft er vor, eine Revolution und Chaos anzetteln zu wollen.

Das Gesetz, das Georgien von Europa entfremdet

Bereits jetzt hat die Regierung eine Entfremdung mit der Europäischen Union erreicht. Vergangenen Juni trat das Gesetz gegen angebliche ausländische Einflussnahme in Kraft. Von der Opposition und westlichen Regierungen wird es als Mittel zur schärferen Kontrolle der Zivilgesellschaft und unvereinbar mit Grundrechten kritisiert. Die Europäische Union legte den Beitrittsprozess auf Eis. Erst vergangenen Dezember hatte Georgien den Status eines Beitrittskandidaten erhalten.

Kritiker vermuten Russland hinter dem Kurs der Regierung in Tiflis. Verwiesen wird darauf, das in Russland ein ähnliches Gesetz verabschiedet wurde, dass auch gegen inländische Kritiker angewendet wird. Die Regierung in Moskau hat eine Einflussnahme in Georgien abgestritten.