Politik/Ausland

"Athen sollte unsere Hilfe nicht länger zurückweisen"

Das dominierende Thema des Gipfels stand nicht auf der offiziellen Tagesordnung, und so kam es erst zu später Stunde und in kleiner Runde auf den Tisch: Nach dem Ende des ersten Gipfeltages setzten sich Ratspräsident Donald Tusk, Kommissionschef Jean-Claude Juncker, EZB-Chef Mario Draghi, Kanzlerin Angela Merkel, der französische Staatspräsident François Hollande und Jeroen Dijsselbloem, der Vorsitzende der Eurogruppe, mit dem griechischen Premier Alexis Tsipras zusammen.

Kanzler Werner Faymann sagte, es sei die Verantwortung der Eurozone, Tsipras "unter die Arme zu greifen – und nicht den Beweis erbringen, dass der neuen Regierung die Erfahrung fehlt. Umgekehrt sollte die neue griechische Regierung unsere Hilfe auch nicht länger zurückweisen." Er sehe "ein Bemühen der EU-Vertreter, zu einem Ergebnis zu kommen", so Faymann. Dass man zuletzt kaum vorangekommen ist, sei auch daran gelegen, "dass die griechische Regierung einige Fehler gemacht hat, wenn es darum gegangen ist, ihre Vorschläge professionell vorzutragen".

Kapitalabfluss hält an

Der Druck auf alle Beteiligten steigt: Die Regierung in Athen soll nun schon darüber nachdenken, staatliche Versorger um Kredit zu bitten. Man habe Kontakt zu Unternehmen wie Athens Water oder der Public Power Company aufgenommen, berichtete die Zeitung Kathemerini.

Der Kapitalabfluss ist derweil anhaltend hoch: Anleger hätten allein am Mittwoch 300 Millionen Euro abgezogen, sagen griechische Banker. Dies sei die höchste Summe an einem Tag seit der Verlängerung des Hilfsprogramms Ende Februar.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bezifferte den kurzfristigen Kapitalbedarf Athens am Donnerstag mit zwei bis drei Milliarden: Das Land habe "eigentlich schon vorgestern" frisches Geld gebraucht.

Gespräche gestoppt

Dass Griechenland kurzfristig wieder zur Chefsache wurde, ist dem Stillstand der letzten Wochen geschuldet. Im Kreise der Finanzminister ist man zuletzt kaum weitergekommen; die Atmosphäre zwischen den Vertretern Deutschlands und Griechenlands, Wolfgang Schäuble und Yanis Varoufakis, ist nachhaltig gestört. In Diplomatenkreisen wurde zuletzt – auch deswegen – über einen möglichen Rücktritt des Griechen spekuliert. In Athen erzählt man sich, Varoufakis habe selbst die Nase voll und wolle gehen.

Dazu wurden die "technischen Gespräche" zwischen den Vertretern der Geldgeber (EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds) am Mittwoch nur eine Woche nach dem Neustart wieder "auf Eis gelegt". In Brüssel hieß es, Athen zeige keinerlei Kooperationsbereitschaft. Man habe die vereinbarten Zahlen zum griechischen Haushalt noch immer nicht bekommen; stattdessen sei die "Troika" "vor die Tür gesetzt worden".

Hinter dem Zeitplan steht jetzt ein großes Fragezeichen: Planmäßig sollte spätestens Ende April die nächste Tranche an Hilfsgeldern fließen; sie hängt jedoch an der Überprüfung der Reformfortschritte.

"Richtig sauer"


Beim nächtlichen Krisengipfel sollte es denn auch gar nicht um Änderungen im Hilfsprogramm oder gar ein neues Paket gehen. Ziel war vielmehr, auf höchster Ebene das Vertrauen wiederherzustellen, um eine Gesprächsbasis für die kommenden Wochen zu schaffen.

Kanzlerin Angela Merkel dämpfte vorab ebenso wie Tusk die Erwartungen: "Rechnen Sie nicht mit einer Entscheidung." Die Zurückhaltung der Chefs kommt nicht von ungefähr: Derlei informelle Treffen werden nicht bei allen gern gesehen. Belgiens Regierungschef Charles Michel etwa murrte, er sei "richtig sauer", weil nicht alle Euro-Staaten mit am Tisch sitzen.

Bis zu 100 Milliarden Euro an unversteuertem griechischen Vermögen sollen in der Schweiz auf Abholung warten. Bisher hat die Regierung in Athen aber keine Anstrengungen unternommen, das Geld zurückzuholen – trotz schwerer finanzieller Nöte.

Schon seit über einem Jahr gibt es nämlich ein Angebot des eidgenössischen Finanzministeriums, das Geld aufzuspüren und nach Athen zu überweisen. Im Februar 2014 verhandelte die Schweizer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf mit Yanis Stournas, dem Vorgänger ihres jetzigen griechischen Amtskollegen Yanis Varoufakis, über den Abschluss eines Steuerabkommens. Geplant war ein Selbstanzeigeprogramm: Griechischen Steuersündern sollte erlaubt werden, sich reinzuwaschen – also Steuern zurückzuzahlen, ohne strafrechtlich belangt zu werden.

Kein Anruf aus Athen

Doch geschehen ist seither nichts. Weder von der alten noch von der jetzigen Regierung Athens hat man in Bern in dieser Angelegenheit etwas gehört. Die Begründung der Griechen ist recht simpel: Die neue Regierung ist erst seit acht Wochen im Amt – man habe das Thema bisher noch nicht mit der Schweiz besprechen können. "Es wäre unhöflich, diesen Gesprächen zuvorzukommen", so die Auskunft des Finanzministeriums gegenüber der Schweizer Wochenzeitung. Wieso die Vorgängerregierung untätig geblieben war, bleibt allerdings unklar.

Österreich hat ein Abkommen mit der Schweiz: Österreicher, die den Abzug einer Steuerpauschale verweigern, werden von der Schweizer Bank dem österreichischen Fiskus gemeldet. Auch die EU hat nun den Austausch von Bankdaten mit Bern paktiert (siehe Seite 13).

Während die ärmsten Haushalte in Griechenland 2012 durch die Folgen des harten Sparkurses fast 86 Prozent Einkommen verloren haben, blieben die Vermögenden bisher ungeschoren. Auch die "Lagarde-Liste" ließen die Behörden in Athen bisher links liegen. Die Datei mit 2062 griechischen Kontoinhabern bei der Bankengruppe HSBC in der Schweiz war 2010 von der damaligen französischen Finanzministerin Lagarde an Athen übergeben worden.