Gegenseitiges Gepolter: "Nur ein Scheingefecht"
Hinter dem zwischen der Türkei und der EU ausgehandelten Flüchtlingsabkommen steht vor allem ein Name: Gerald Knaus. Der Leiter der Denkfabrik European Stability Initiative (ESI) gilt als Architekt des Deals. Mit dem KURIER sprach Knaus über..
...die jüngste Drohung des türkischen Präsidenten Erdoğan, Richtung Europa die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen:
...bisher nur knapp 700, von Griechenland an die Türkei zurückgeschickte Flüchtlinge:
Griechenland ist gar nicht in der Lage, die Leute zurückzuschicken. Sie haben viel zu wenige Leute, um ordentliche Asylverfahren in dieser Zahl abzuwickeln. Und die Türkei überzeugt nicht darin, sich als sicheres Drittland zu präsentieren. Die EU hat wiederum bisher nur knapp 3000 Flüchtlinge aus der Türkei übernommen. Deshalb steuert der Deal aufgrund der dilettantischen Umsetzung ohnehin in eine Krise, aber nicht wegen der Polterei, die sich derzeit zwischen der EU und der Türkei abspielt. Das ist aus meiner Sicht nur ein Scheingefecht.
...Möglichkeiten, das Flüchtlingsabkommen wieder zu stabilisieren: Erstens müsste die Türkei nachweisen, dass sie ein sicheres Drittland ist. Dann hebt die EU die Visapflicht auf – das ist für die Türkei wirklich ein wichtiger Anreiz. Dann sorgen wir dafür, dass diese Bedingungen für das Ende der Visapflicht aufrecht bleiben. So würden wir die Türkei zu unserem Verbündeten machen. Aber was wir stattdessen derzeit machen: Wir spielen russisches Roulette mit der Sicherheit Griechenlands. Denn bei einem Scheitern des Deals würde Griechenland dies als erstes spüren.
....konkrete Fortschritte bei der Umsetzung des Abkommens: Die Zahl der Flüchtlingskinder in den türkischen Schulen hat sich seit Juli 2015 von 230.000 auf 470.000 erhöht. Auch das Programm zur Versorgung von über einer Million bedürftiger Syrer läuft gut an. Das ist das größte Hilfsprogramm, das die EU je irgendwo finanziert hat. Und deshalb wollen sowohl die EU als auch die Türkei, dass dieses Programm weiter läuft. Aber das geht in diesem Ping-Pong-Spiel der Vorwürfe und Misstrauens vollkommen unter. In der Flüchtlingsfrage zeigt die Türkei, die im Vergleich zu Europa die größere Last trägt, sehr viel Engagement.