Politik/Ausland

Gefahr einer neuen Kriegsfront an ukrainischer Grenze zu Belarus

Tausende russische Soldaten haben mit Panzern und anderer schwerer Militärtechnik in Belarus Stellung bezogen – inmitten Moskaus schwieriger Lage im Krieg gegen die Ukraine. Sie bilden mit den belarussischen Streitkräften eine neue Einheit zur Erfüllung jedweder Aufgabe, wie der stellvertretende russische Kommandeur Viktor Smejan im Staatsfernsehen sagt. "Der Kampfgeist ist da."

Doch die Stationierung von Hunderten gepanzerten Fahrzeugen schürt Ängste, dass Kremlchef Wladimir Putin in Belarus eine neue Front in seinem Krieg gegen die Ukraine aufmachen könnte.

Schon im Februar zu Beginn des Krieges marschierten aus der Region Gomel im Süden von Belarus russische Einheiten in den Norden der Ukraine ein - von dort ist es nicht weit nach Kiew. Und auch jetzt berichten Augenzeugen von erhöhten militärischen Aktivitäten in der Region.

Belarus will sich offiziell nicht einmischen

Zwar beteuert Machthaber Alexander Lukaschenko in Belarus, dass er sich nicht einmischen werde in den Krieg in der Ukraine, sondern sich lediglich auf die Verteidigung konzentriere. Doch die Ukraine sieht Belarus bereits seit Beginn von Putins Krieg vor rund acht Monaten als Kriegspartei. Lukaschenko stellte damals Militärbasen in Belarus den Russen für Angriffe auf das benachbarte Land zur Verfügung.

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Dass nun eine massive russische Militärpräsenz dauerhaft zementiert wird, lässt bei vielen die Alarmglocken schrillen. "Lukaschenko und Putin ziehen unser Land in den Krieg, sie lügen, dass angeblich von ukrainischer Seite eine Bedrohung ausgeht", schimpft die im Exil im benachbarten Litauen lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Vielen Menschen in Belarus gilt sie als Siegerin der Präsidentenwahl von 2020, nach der sich Lukaschenko, der als "letzter Diktator Europas" gilt, mit Gewalt und Putins Hilfe an der Macht hielt.

"Lukaschenko ist eine Schande für mein Land", sagt Tichanowskaja, die in dem Zugeständnis, russische Soldaten im Land zu stationierten, vor allem einen weiteren Loyalitätsbeweis für Putin sieht. Lukaschenko treffe selbst schon keine Entscheidungen mehr, der Kreml steuere die Politik in Belarus, betont Tichanowskaja. Auch wirtschaftlich hängt das Land, das vom Westen im Zuge der Niederschlagung von Protesten nach der Wahl mit Sanktionen belegt wurde, am Tropf Russlands.

Zwar beteuert die Militärführung in Belarus immer wieder, die mit den russischen Soldaten gebildete gemeinsame Einheit diene ausschließlich der Verteidigung. Weil aber Lukaschenko selbst jüngst erklärte, er habe das "Regime einer Anti-Terror-Operation" im Land eingeführt, vermuten Beobachter, dass es hier um viel mehr geht als um gemeinsame Ausbildung und Verteidigungsübungen.

Fast täglich behaupten Vertreter des Machtapparats in Minsk, Belarus könne überfallen werden – etwa vom NATO-Mitglied Polen. Auch der Chef des Geheimdienstes KGB, Iwan Tertel, erzählte ganz im Stil Putins, Nachbarländer könnten in Belarus Terroranschläge verüben, einen militärischen Überfall vorbereiten oder sogar zu einem Atomschlag bereit sein. Beweise dafür gibt es nicht.

Nur 15.000 weißrussische Soldaten

"Es ist nicht auszuschließen, dass Lukaschenko tatsächlich militärische Angriffe oder Attacken von Saboteuren gegen Belarus befürchtet", sagt der im Exil lebende Politologe Artjom Schraibman in seinem Blog im Nachrichtenkanal Telegram. "Hunderte belarussische Freiwillige kämpfen für die Ukraine, zugleich militarisiert sich die belarussische Opposition in Litauen und Polen."

Zugleich betont Schraibman, dass es in Belarus einen breiten Konsens gebe, dass sich die belarussischen Soldaten nicht an dem Krieg in der Ukraine beteiligen sollten. In der Gesellschaft gebe es keine soziale Basis, auf die sich Lukaschenko stützen könnte. Schraibman sieht das "Risiko einer Destabilisierung des belarussischen Regimes", sollte sich Lukaschenko auf einen wie auch immer gearteten Druck Putins einlassen, mit eigenen Soldaten in der Ukraine zu kämpfen.

Auch der Experte Waleri Karbelewitsch erwartet, dass sich Lukaschenko dagegen sträuben wird, mit eigenen Soldaten in den Krieg hineinziehen zu lassen. Auch er sehe, "dass der Krieg in der Ukraine für Russland sehr erfolglos läuft" – und wolle am Ende nicht mit auf der Verliererseite stehen. Für Moskau sei die Öffnung einer neuen Front für einen neuen Vormarsch auf Kiew – wie zu Beginn des Krieges – ungünstig. Es gebe kaum Straßen, das Gelände dort sei sumpfig und kaum geeignet für Panzer und andere schwere Militärtechnik.

Karbelewitsch verweist zudem darauf, dass die belarussische Armee schwach aufgestellt sei, es gebe nur etwa 15.000 gut ausgebildete Spezialkräfte. In einem richtigen Krieg falle diese Zahl gar nicht ins Gewicht. Der Experte geht vielmehr davon aus, dass die russische Präsenz vor allem der Ausbildung von Soldaten dient, um sie anschließend an die Front in die Ukraine zu schicken. "Russland selbst hat nicht genug Infrastruktur, Truppenübungsplätze für die Ausbildung der neu Einberufenen", sagt Karbelewitsch.

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