Politik/Ausland

Gefängnisse: "Brutstätten des Terrorismus"

KURIER: Frau Kommissarin, Ihr Portfolio reicht von der Justiz, über den Datenschutz bis hin zur Geschlechtergerechtigkeit. Wie legen Sie’s an, wo wollen Sie Schwerpunkte setzen?

Vera Jourova: Generell versuche ich mir immer die Frage zu stellen: Brauchen wir diese oder jene Regelung wirklich? Wo ist die Verbesserung für die Bürger? Ich glaube, wir können den Menschen mehr vertrauen, wir sollten weniger verordnen – ich bin keine Freundin des staatlichen Paternalismus. Zu den Schwerpunkten: Eines der wichtigsten Projekte ist die Europäischen Staatsanwaltschaft, die künftig den Missbrauch von EU-Geldern bekämpfen soll.

Wenn Sie ein Österreicher fragt, was er persönlich von dieser neuen Institution hat, was antworten Sie ihm?

Jeder Steuerzahler in der EU muss ein Interesse daran haben, wohin die einzelnen Euros fließen. Ziel der neuen Staatsanwaltschaft ist, alle Fälle von unterschlagenen EU-Geldern und -Förderungen aufzuklären bzw. vor Gericht zu bringen. Derzeit werden viel zu wenige Fälle verfolgt.

Eines der großen Themen in Europa ist der Terrorismus. Sie planen Reformen im Justiz-Bereich, welche genau?

Wir wissen, dass die Radikalisierung junger Menschen vielfach in Haftanstalten passiert. Die Gefängnisse sind zu Brutstätten des Terrorismus geworden, das ist durch die Attentaten von Paris bewiesen. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, einen großen Teil des für Trainings vorgesehenen Jahresbudgets in unserem Ressort (16 Millionen Euro) in die Ausbildung des europäischen Gefängnis-Personals zu investieren. Wer mit Häftlingen in einer Anstalt oder mit Freigängern zu tun hat, muss erkennen können, wer sind die jungen Menschen, die für radikale Botschaften empfänglich sind. Wer kann infiziert werden, und wer infiziert sie?

Ein neues Phänomen sind EU-Bürger, die in den Dschihad ziehen. Wie sollen wir mit diesen Menschen umgehen?

Wir haben rund 5000 Menschen, die von Europa aus in den Dschihad gezogen sind. Die Kern-Frage ist: Warum fühlen sich diese Menschen hier nicht zu Hause? Wir sprechen zum Teil von jungen Leuten, die in dritter Generation in Europa leben.

In Österreich wird das TTIP-Abkommen mit Skepsis betrachtet. Warum ist TTIP aus ihrer Sicht sinnvoll?

Ich halte es für vernünftig, weil wir in einer globalen Welt leben und Europa als globaler Player bestehen muss. Ich bin überzeugt, dass dieses Abkommen besser ist als sein Ruf. Derzeit wird viel mit Angst und Mythen argumentiert. Eine der großen Sorgen der Amerikaner ist ja, dass unser Justizsystem nicht ausreichend funktioniert, um Streitfälle beizulegen – deshalb wollen sie spezielle Schiedsgerichte. Diese Sorge ist unbegründet, Europas Justiz ist absolut zuverlässig.

Sie sind auch für Fragen der Gleichberechtigung zuständig. Sind Sie für Frauenquoten?

Von simplen Quoten, die unabhängig von der Qualifikation verordnet werden, halte ich nichts. Sehr viel halte ich aber davon, dass börsenotierte Unternehmen in ihren Führungsgremien eine Geschlechter-Quote bekommen. Wir haben einen Entwurf für die EU erarbeitet, bei dem es darum geht, dass bei gleicher Qualifikation jener Kandidat oder jene Kandidatin zum Zug kommt, deren Geschlecht gerade unterrepräsentiert ist. Das ist neutral – und könnte auch zur Bevorzugung von Männern führen, falls dies geboten ist.

Wenn man sich die Debatte um Griechenland ansieht, könnte man meinen, das Projekt Europa steht vor dem Ende.

Ich bin Optimistin, deshalb werden Sie von mir keine pessimistische Antwort bekommen. Aber es stimmt, wir stehen an einer Wegkreuzung. Im Grunde geht es darum, die Menschen daran zu erinnern, dass die EU gegründet wurde, um Kriege zu verhindern. Die Menschen wollen gerne einfache Lösungen, und die EU als Ganzes ist nicht einfach. Die Ideen hinter ihr aber sind es: Es geht um Frieden und um Solidarität. Dafür gilt es zu kämpfen.