Gaza: UNO mit Hinweisen auf Kriegsverbrechen
In zwei Kampfzonen des Gazastreifens sind am Mittwoch kurze Feuerpausen vereinbart worden. Wie eine Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) mitteilte, sollte Rettungsfahrzeugen die Möglichkeit gegeben werden, Verletzte zu bergen. Die Zonen, in denen die radikalislamische Hamas und die israelischen Streitkräfte auf Kampfhandlungen verzichten wollten, waren Shejaia im Osten von Gaza-Stadt und Khusaa bei Khan Yunis im Süden des Gazastreifens. Fahrzeuge des IKRK waren schon die Orte unterwegs.
Die Nachricht kam einige Stunden, nachdem die UNO einen schweren Verdacht äußerte: Nach eigenen Angaben haben die Vereinten Nationen deutliche Hinweise darauf, dass die israelische Armee zuletzt Kriegsverbrechen verübt hat. Menschenrechtskommissarin Navi Pillay nannte es vorsichtig eine "große Möglichkeit", dass die israelischen Häuserzerstörungen und die Tötung von Kindern völkerrechtswidrig seien. Pillay äußerte sich zu Beginn einer Sondersitzung des UNO-Menschenrechtsrates zum Gaza-Konflikts. Sie beklagte, dass bei den israelischen Angriffen nicht zwischen Hamas-Kämpfern und Zivilisten unterschieden werde. Zugleich verurteilte sie auch den Abschuss von Raketen und Granaten durch palästinensische Extremisten auf Israel.
600 Tote
"Niemals vergeben"
US-Außenminister Kerry, der sich in Israel aufhält, und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon forderten ein sofortiges Ende der Gewalt. Der US-Außenminister appellierte insbesondere an die radikalislamische Hamas, einer Feuerpause mit Israel zuzustimmen. Ägypten hatte eine Waffenruhe vorgeschlagen, die die Hamas jedoch ablehnt. Kernforderung der Hamas für eine Waffenruhe ist eine Aufhebung der Blockade des Gazastreifens durch Israel und Ägypten. Sie ist in dem ägyptischen Vorschlag nicht enthalten. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas warf Israel vor, alle internationalen Gesetze zu brechen. "Wir sind voller Zorn, und wir werden niemals vergessen oder vergeben", sagte er bei einer Sondersitzung der palästinensischen Führung in Ramallah.
Im Fall eines israelischen Soldaten, der angeblich in der Hand der Hamas ist, soll Israel Deutschland um Hilfe gebeten haben. Nach Informationen des arabischen Senders Al-Arabija geht es dabei möglicherweise um Vermittlungsbemühungen. Der israelische Soldat, der an der Bodenoffensive beteiligt war, könnte demnach tot oder lebendig in den Händen der militanten Palästinenser sein. Eine Bestätigung Israels dafür gab es zunächst nicht.
AUA und Fly Niki streichen Flüge
Internationale Fluglinien wollen indes eine Katastrophe wie in der Ostukraine strikt vermeiden und streichen diverse Verbindungen nach Israel, nachdem in der Nähe des Flughafens Ben Gurion eine aus dem Gazastreifen abgefeuerte Rakete eingeschlagen war. Unter den betroffenen Linien waren die deutschen Gesellschaften Lufthansa und Air Berlin. Auch die Töchter AUA und Fly Niki canceln die Verbindungen.
Somit gibt es am Mittwoch nur einen Flug von Wien nach Tel Aviv, durchgeführt von der israelischen Fluglinie El Al um 20.30 Uhr. Auch am Donnerstag soll keine AUA-Maschine von Schwechat Richtung Tel Aviv starten. Die von der Einstellung betroffenen Fluggäste könnten ihre Tickets kostenlos umbuchen oder sich den Ticketpreis zurückerstatten lassen. Die AUA will am Donnerstag über weitere Schritte entscheiden.
Air France, KLM und SAS, die britische Billigfluglinie Easy Jet sowie Air Canada stornierten ihre Flüge ebenso. Zuvor hatte bereits die US-Luftfahrtbehörde FAA über amerikanische Airlines ein 24-stündiges Verbot verhängt. British Airways behielt ihre Route dagegen bei.
Raketeneinschlag in Yehud, nahe dem Flughafen
Militärflughafen als Option
Israel hat am Mittwoch auch einen Militärflughafen im Süden des Landes für die zivile Luftfahrt geöffnet. Der Flughafen Ovda in der Negev-Wüste nördlich von Eilat soll als Ausweichmöglichkeit für internationale Flüge zugänglich gemacht werden. AUA und Lufthansa nahmen diese Möglichkeit am Mittwoch nicht an.
Mindestens 350 österreichische Urlauber halten nach Informationen des Außenministeriums derzeit in Israel auf. So viele Personen hätten sich beim Infoservice des Ministeriums registriert, teilte Außenamtssprecher Martin Weiss am Mittwoch der APA mit. Am Flughafen Tel Aviv seien bisher offenbar keine Österreicher gestrandet, berichtete Weiss. An alle Touristen, die sich vor ihrer Abreise nach Israel beim Informationsservice des Außenministeriums registriert hätten, sei bereits eine SMS-Nachricht mit Informationen zu den Flugausfällen geschickt worden. Das Außenministerium empfiehlt allen Österreichern in Israel, sich auf der angegebenen Internetseite zu registrieren. In den am Dienstag aktualisierten Reisehinweisen heißt es, dass von "nicht notwendigen Aufenthalten" innerhalb einer Zone von 40 Kilometer rund um den Gazastreifen "abgeraten" werde. "Vor Reisen in den Gazastreifen wird dringend gewarnt", betont das Außenministerium.
Kritik aus Israel
Die US-Regierung verteidigte das befristete Flugverbot . Die Maßnahme diene einzig dazu, amerikanische Bürger und Airlines zu schützen, sagte Kerry. Anderer Meinung schien der New Yorker Ex-Bürgermeister Michael Bloomberg zu sein: Er kündigte an, aus Solidarität mit einer Maschine der nationalen israelischen Airline El Al nach Tel Aviv fliegen zu wollen.
Die Hilfsorganisationen im Gazastreifen werden von der Explosion der Zahl palästinensischer Flüchtlinge überrumpelt. Das UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) beherbergte vor der israelischen Militäroffensive rund 17.000 Vertriebene. Heute sind es 100.000.Diese Entwicklung vermöge eine Vorstellung vom "Ernst der Lage" zu vermitteln, sagte UNRWA-Direktor Pierre Krähenbühl in der Westschweizer Zeitung "Le Temps" vom Mittwoch. Er forderte gleichzeitig eine Feuerpause.
"Gestützt auf die Erfahrungen von Israels Operationen 2008 und 2012 hatten wir uns auf die Ankunft von 35.000 bis 50.000 zusätzlichen Personen vorbereitet." Um nun an neue finanzielle Mittel zu kommen, ruft das UNRWA zu Spenden auf. Es benötige 115 Millionen Dollar (85,31 Mio. Euro).
Seit Beginn der israelischen Offensive seien 77 Schulen, Spitäler und andere Gebäude des UNRWA durch die Kämpfe beschädigt worden, sagte Krähenbühl. Am Montag wurde eine Schule offenbar absichtlich beschossen. "Das zeigt, wie schwierig die Lage ist, in der wir arbeiten."
"Situation nicht mehr haltbar"
Ein Zurück zur Situation vor der Militäroffensive ist für Krähenbühl nicht vorstellbar. Es brauche eine breitere Perspektive, nicht zuletzt auch was die wirtschaftliche Situation betreffe: "Nach acht Jahren der Blockade ist die humanitäre Situation nicht mehr haltbar." Im Jahr 2000 habe das UNRWA noch 80.000 Personen im Gazastreifen unterstützt, heute seien es 830.000.
Das UNO-Hilfswerk wurde im Jahr 1949 gegründet und hat zum Ziel, fünf Millionen palästinensischer Flüchtlinge in Jordanien, Libanon, Syrien, im Westjordanland und im Gazastreifen zu schützen und sie zu unterstützen.
Es führt 600 Schulen, in denen eine halbe Million Schüler studieren und verfügt zudem über ein Netz von 150 Spitälern. Rund 30.000 Beschäftigte stehen beim UNRWA im Sold. Seit März ist Krähenbühl dessen Direktor.
Die Eskalation des Nahost-Konflikts hinterlässt im Gazastreifen immer mehr Tote und Verletzte. Um Verwundete zu retten und Menschen zu evakuieren sind Hunderte Helfer im Einsatz. Ein Gespräch mit Sandra Wicki, Mitarbeiterin des Spanischen Roten Kreuzes in Ramallah, über die Gefahr in den umkämpften Gebieten und warum die Feuerpause viel zu kurz war.
Wie wird entschieden, wo im Gazastreifen geholfen werden kann und wo nicht, weil es auch für die Helfer zu gefährlich ist?
Die Koordinierung übernimmt die Einsatzzentrale. Dort wird die Lage eingeschätzt. Es gibt Zonen im Gazastreifen, die schwer zugänglich sind, vor allem im Norden. Dann muss entschieden werden, inwieweit einem Notruf nachgegangen werden kann. Die Ambulanzen und die Helfer riskieren wirklich ihr Leben, um zu den Leuten zu kommen, um erste Hilfe zu leisten und sie aus unsicheren Zonen in Sicherheit zu bringen.
Im schlimmsten Fall geraten die Helfer dann selbst zwischen die Fronten. Was kann man denn überhaupt tun?
Es ist ein sehr großes Risiko für das medizinische Personal, sich in das Krisengeschehen zu begeben. Deswegen gab es ja auch die zweistündige Feuerpause. Da konnten die Teams dann in die besonders hartumkämpften Zonen. Sie mussten sich leider auf die Verletzten konzentrieren - Tote konnten nicht geborgen werden. Der Zeitraum war zu kurz.
An was fehlt es im Gazastreifen vor allem?
Mehrere Zehntausend Menschen sind auf externe Nahrungsmittelversorgung angewiesen. Etwa 117 000 Menschen sind vertrieben worden. Hinzu kommen Dinge wie Matratzen, Decken und Küchenutensilien, die verteilt werden. Ein wichtiges Thema ist auch die Stromversorgung und der Treibstoffmangel. Momentan hat die Bevölkerung nur für vier Stunden pro Tag Strom. Da die Wasserversorgung vom Stromnetz abhängig ist, sind rund eine Million Menschen von Wasserknappheit betroffen.
Gibt es auch eine psychologische Betreuung?
Der Palästinensische Rote Halbmond hat 170 Psychologen. In der jetzigen Situation ist es allerdings schwierig, die Betreuung zu leisten. Wenn sich der bewaffnete Konflikt beruhigt hat, können sie der Bevölkerung, dem Personal und den Freiwilligen beistehen, um Traumata zu vermeiden.