Politik/Ausland

Orban: "Das Zeitalter der liberalen Demokratie ist vorbei"

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban lehnt größere Integrationsschritte in der Europäischen Union strikt ab. Die EU müsse auf den Boden der Realität zurückkehren und die „wahnhaften Alpträume von den Vereinigten Staaten von Europa aufgeben“, sagte der konservative Politiker am Donnerstag nach seiner Wiederwahl zum Regierungschef im Parlament. Ein erster Schritt sei, sich Gedanken über die Einwanderungspolitik zu machen. Orban bekräftigte seine Ablehnung einer EU-Quote für die Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten und betonte
die Notwendigkeit, Grenzen zu schützen.Orban hatte sich im April bei der Parlamentswahl mit seinem rechtskonservativen Kurs eine dritte Amtszeit gesichert.

Das ungarische Parlament hat Orban erwartungsgemäß für eine weitere Amtszeit ins höchste Regierungsamt gewählt. Für den rechts-nationalen Politiker stimmten am Donnerstag die 133 Abgeordneten der Regierungspartei Fidesz sowie der Vertreter der deutschen Minderheit. Gegen Orban sprachen sich 28 Abgeordnete der Opposition aus, 36 weitere blieben der Abstimmung fern. Orban steht damit zum vierten Mal an der Spitze einer ungarischen Regierung. Der 54-Jährige amtierte von 1998 bis 2002 und seit 2010 in ununterbrochener Folge.

Im Anschluss an die Wahl legte er den Amtseid ab. In seiner Ansprache legte Orban dar, dass er perspektivisch bis zum Jahr 2030 vorausplane. Bis dahin soll Ungarn unter die fünf besten Länder der EU aufsteigen, sagte er. Viele würden dies heute noch für unglaublich halten. „Wir müssen uns auf das Unmögliche einlassen, denn das Mögliche können auch andere“, wandte er dagegen ein.

In seiner Rede sagte er, das Zeitalter der liberalen Demokratie sei vorbei. Er befürworte eine „christliche Demokratie“, die Freiheit und Sicherheit der Bürger schütze. Zudem unterstütze sie ein traditionelles Familienmodell mit Mann und Frau.

Orbans Fidesz-Partei hatte bei der Wahl am 8. April eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im neuen Parlament errungen. Kritiker werfen dem machtbewussten Regierungschef den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor. Mit der EU liegt Orban wegen seiner restriktiven Asylpolitik, wegen der Einschränkung von demokratischen Rechten und wegen des mutmaßlichen Missbrauchs von EU-Geldern im Konflikt.

Zur Person

Orban wurde am 31. Mai 1963 in der nordwestungarischen Kleinstadt Szekesfehervar in kleinbürgerlichen Verhältnissen geboren. Er studierte Rechtswissenschaften in Budapest und wurde 1989 - finanziert von der Soros-Stiftung - Stipendiat in Oxford. Hier begann Orban ein Studium der Geschichte der englischen liberalen Philosophie, das er wegen der ungarischen Parlamentswahlen 1990 jedoch abbrach.

Bereits 1988 gründete Orban mit anderen Studenten den oppositionellen Bund Junger Demokraten (Fidesz), zunächst als liberale Organisation - später eine konservative, nationalbewusste Partei, die um eine Wählerschaft von der Mitte bis weit nach rechts kämpfte. 1995 fügte Orban dem Parteinamen den Zusatz "Ungarische Bürgerpartei" hinzu. Bekannt wurde Orban 1989, als er als liberaler Rebell auf dem Budapester Heldenplatz vor Tausenden Menschen den Abzug der in Ungarn stationierten sowjetischen Truppen forderte.

Orban sorgte dafür, dass aus einer radikalen Jugendorganisation die größte ungarische Volkspartei wurde. 1990 zog er als Abgeordneter ins Parlament ein, wurde kurz darauf Parteichef seiner Jungdemokraten Fidesz. Unter der Orban-Führung vollzog die Partei einen Rechtsruck und wurde zur führenden konservativen Partei in Ungarn.

Nach dem Fidesz-Sieg bei den Parlamentswahlen 1998 wurde Orban mit 35 Jahren Ministerpräsident. Das war die frühe Krönung einer politischen Karriere, die Orban mit großem Ehrgeiz und enormer Zielstrebigkeit verfolgte. Dennoch musste sich Orban 2002 erneut in die Opposition verabschieden.

Korruptionsaffären der achtjährigen Amtszeit der Sozialisten (MSZP) bescherten Orban allerdings 2010 ein Comeback. Fidesz errang eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament und begann mit unbeschränkter Macht umgehend mit dem tiefgreifenden Umbau des Staates nach konservativen Werten, wobei laut Kritikern demokratische Institutionen und Kontrollmechanismen immer mehr beschädigt wurden. Medien wurden unter die Kontrolle der Regierung gebracht, der Einfluss auf die Justiz verstärkt, Kultur und Bildung auf nationalkonservativ getrimmt worden. Orban selbst bekannte sich zu einer "illiberalen Demokratie", zu der seine immer wieder offen deklarierte Putin-Verehrung passt.