Macron-Lager holt absolute Mehrheit
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat bei der Parlamentswahl eine absolute Mehrheit für sein Reformprogramm gewonnen, könnte aber schwächer abschneiden als zunächst erwartet. Laut ersten Hochrechnungen verschiedener Institute kam Macrons Lager im zweiten Wahlgang am Sonntag auf 355 bis 425 der 577 Sitze in der Nationalversammlung.
Meinungsforscher hatten zuvor bis zu 470 Mandate für möglich gehalten. Trotzdem kann sich der sozialliberale Staatschef in der ersten Parlamentskammer auf eine klare Mehrheit stützen. Konservative und Sozialisten erlitten herbe Verluste.
Der Sieg für Macrons erst vor gut einem Jahr gegründete Mitte-Partei und ihre Verbündeten bestätigt eine historische Zäsur für die französische Politik. Die traditionellen Regierungsparteien der bürgerlichen Rechten und der Sozialisten mussten eine weitere Schlappe einstecken. Macron war vor sechs Wochen als jüngster französischer Präsident aller Zeiten in den Elyseepalast gewählt worden. Der proeuropäische Politiker kündigte bereits an, umgehend Reformen anzupacken. Er strebt einen radikalen Umbau des Arbeits-und Sozialwesens an, der insbesondere bei den Gewerkschaften umstritten ist.
Sozialistenchef kündigte Rückzug an
Frankreichs Sozialistenchef Jean-Christophe Cambadelis hat nach dem Absturz seiner Partei seinen Rückzug aus der Parteispitze angekündigt. "Eine kollektive Führung wird so schnell wie möglich installiert", sagte der Generalsekretär der Sozialisten am Sonntagabend.
Negativrekord
Die Wahlbeteiligung fiel auf ein neues Rekordtief. Sie lag laut Hochrechnungen um die 43 Prozent, noch deutlich niedriger als im ersten Wahlgang, wo die Beteiligung 48,7 Prozent betrug. Schon dies war so niedrig wie noch nie bei einer französischen Parlamentswahl seit Gründung der Fünften Republik 1958.
Sechs Wochen nach Macrons Wahl zum Staatschef galt eine absolute Mehrheit für seine Partei La Republique en Marche und die verbündete Mitte-Partei MoDem in der Nationalversammlung als sicher. Präsident Macron gab seine Stimme am Vormittag im Badeort Le Touquet am Ärmelkanal ab. Anders als im ersten Wahlgang begleitete seine Frau Brigitte ihn diesmal nicht mit ins Wahllokal.
Stichwahlen
Bei der Parlamentswahl wird in 577 Wahlkreisen jeweils ein Abgeordneter gewählt. Es gilt ein reines Mehrheitswahlrecht - das macht es für kleine Parteien schwer, Mandate zu gewinnen. Nur vier Sitze wurden bereits in der ersten Runde vor einer Woche vergeben, im Rest der Wahlkreise waren Stichwahlen nötig.
Die Sozialisten von Macrons Vorgänger Francois Hollande waren schon im ersten Wahlgang dramatisch abgestürzt.
Freie Hand
Mit der klaren Mehrheit in der Nationalversammlung hat Macron nun weitgehend freie Hand für seine Gesetzespläne. Bremsen könnte allenfalls der Senat, die zweite Parlamentskammer wird von der bürgerlichen Rechten dominiert. Allerdings sitzt die Nationalversammlung bei der Verabschiedung von Gesetzen am längeren Hebel. Vor allem bei der geplanten Arbeitsmarktreform sind außerdem Protestkundgebungen von Gewerkschaften zu erwarten.
Frankreich leidet schon lange unter einer hohen Arbeitslosigkeit, sie lag zuletzt bei 9,5 Prozent. Das Wirtschaftswachstum hinkte in den vergangenen Jahren der Eurozone hinterher, die Staatsschulden liegen bei 96 Prozent der Wirtschaftskraft - deutlich mehr als in Deutschland.
Nach der Wahl könnten Macron und sein Premierminister Edouard Philippe wie in Frankreich üblich ihre Regierungsmannschaft nachjustieren. Eine größere Kabinettsumbildung gilt angesichts des Ergebnisses allerdings als unwahrscheinlich. Am Mittwoch will das Kabinett die geplante Verlängerung des Ausnahmezustands auf den Weg bringen, der seit den Pariser Terroranschlägen vom November 2015 in Kraft ist. Die teils umstrittenen Sonderregeln für Behörden sollen bis Anfang November verlängert werden. Außerdem soll ein neues Sicherheitsgesetz beraten werden.
Man kann es den Sittenwächtern der liberalen Demokratie nie recht machen. Eben erst zitterten sie vor einer Machtergreifung der Nationalistin Marine Le Pen und dem Ende der EU. Jetzt, da alles anders kam, geht das Wehklagen wieder los.
Die Mandatsmehrheit für die Partei des pro-europäischen Erneuerers Emmanuel Macron sei "übertrieben". Seine Partei würde diese "Alleinherrschaft" der extrem hohen Wahlenthaltung schulden, weswegen das Resultat "fraglich" sei.
Aber diese Rekordenthaltung hängt auch damit zusammen, dass ein beträchtlicher Teil der ursprünglichen Wähler der Parteien, die Macron heftig bekämpfen wie etwa der rechte "Front National", inzwischen dem neuen Staatschef mit wohlwollender Neugier begegnen. Deshalb gewährten sie seiner Partei freien Durchzug.
Macrons Kritiker finden auch bedenklich, dass er die Parlamentsdebatte über die geplante Arbeitsmarkt-Reform durch Verordnungen verkürzen will. Und bei der Terrorbekämpfung sollen behördliche Eingriffsrechte, die nur im Ausnahmezustand galten, zu Dauergesetzen werden. Frankreichs Richter-Vereine sind empört.
Diese Feststellungen haben ihre Berechtigung, und es gehört zu den Pflichten vitaler Medien, auf mögliche Abgleitflächen zu verweisen. Aber Macrons Siegeszug erfolgte auch, weil er die Sehnsucht vieler Franzosen nach Entscheidungs- und Führungsstärke bediente, also weil er eine Art "starker Mann" der Mitte verkörpert. Nur um diesen Preis kann der gesellschaftliche Zusammenhalt und Glauben an die französische Republik in Zeiten islamistischer Bedrohung, globalisierungsbedingter sozialer Zerrüttung und populistischer Verführungen wieder aktiviert werden.
(Danny Leder, Paris)
Frankreichs Premierminister Edouard Philippe sieht in dem klaren Ausgang der Parlamentswahl einen Vertrauensbeweis der Wähler und eine Verpflichtung für die Regierung. "Mit ihrer Wahl haben die Franzosen in großer Mehrheit die Hoffnung der Wut vorgezogen, den Optimismus dem Pessimismus", sagte Philippe am Sonntagabend.
Zugleich beklagte er die geringe Wahlbeteiligung. "Die Wahlenthaltung ist nie eine gute Nachricht für die Demokratie." Die Regierung verpflichte dies umso mehr zum Erfolg. "Das Vertrauen der Wähler hängt davon ab, dass wir ein Vorbild sind, von unbedingtem Engagement und greifbaren Ergebnissen."
Auch der Regierungssprecher Christophe Castaner beklagte die schwache Wahlbeteiligung. Er begrüßte aber das Gesamtergebnis: "Die Franzosen haben ihre Wahl bestätigt", so Castaner. Die Linkspartei und die nach Hochrechnungen mit 4 bis 8 Sitzen im Parlament vertretene Front National der Rechtspopulistin Marine Le Pen rief Castaner zur Verantwortung auf. Sie müssten die in der Nationalversammlung geltenden Regeln des Respekts und des Realitätssinns beachten.
Frankreich und Deutschland wollen nach Pariser Darstellung zu wichtigen Themen des am Donnerstag beginnenden EU-Gipfels einen gemeinsamen Beitrag leisten. Das verlautete nach einem Telefongespräch von Staatschef Emmanuel Macron mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel am Sonntag aus Elyseekreisen.
Die beiden Spitzenpolitiker sprachen demnach unter anderem über den Anti-Terrorkampf, die europäische Verteidigungspolitik, die Migration und die Klimapolitik.
Macron setzt sich seit seiner Wahl im Mai dafür ein, dass Europa seine Bürger schützen muss, und tritt beispielsweise gegen das Sozialdumping ein. Er sagte Ende vergangenen Monats in Brüssel, es müsse gleichen Lohn für aus dem EU-Ausland entsandte und einheimische Arbeitskräfte geben.
Nach ergänzenden Angaben will der 39-Jährige in der Brüsseler Gipfelrunde auch die Idee vorbringen, ausländische Investitionen - beispielsweise aus China - in europäischen "strategischen Bereichen" zu kontrollieren. Dagegen zeichnet sich aber dem Vernehmen nach Widerstand aus den freihändlerisch eingestellten Niederlanden sowie aus nordischen Mitgliedstaaten ab.
Macron und Merkel sprachen laut Elyseekreisen auch über den jüngsten Kompromiss der Euro-Finanzminister zu weiteren Milliardenhilfen für das hochverschuldete Griechenland und über die Vorbereitung der G-20-Gipfels in Hamburg Anfang Juli.