Politik/Ausland

Frankreich: Streikwelle gefährdet Fußball-EM

"Wir haben genauso das Recht zu streiken wie die Gurken-Produzenten", ärgerte sich ein Gewerkschaftler, der bei Fos-sur-Mer in Südost-Frankreich von Sondereinheiten der Gendarmerie schließlich unsanft in den Straßengraben gestoßen worden war. Bei dem Mann und seinen Kollegen handelte es sich freilich nicht um Hersteller von Gurken-Konserven, sondern um Raffinerie-Arbeiter, die die Zufahrt zu ihrer Anlage gesperrt und damit die Treibstoff-Versorgung des Großraums um Marseille ins Stocken gebracht hatten.

Aber während die Polizei diese eine Anlage wieder öffnete, breiteten sich Streiks und Blockaden anderwärts aus. Am Dienstag waren alle acht Raffinerien Frankreichs im Ausstand, fünf Großdepots blockiert und fast ein Viertel aller Tankstellen des Landes ohne Sprit.

Im Raum Paris kam es zu kilometerlangen Staus vor Tankstellen. Pro Fahrer durfte man nur mehr um 40 Euro tanken. Im Voraus zu zahlen, wie Tankwarte – mal flehentlich, mal schreiend – verzweifelten Kunden zu erklären versuchten.

Bahn- und Metrostreik

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Ab Mittwochabend kommt ein Bahnstreik dazu. Am Donnerstag sind auch wieder landesweite Demos angesagt. Auf die bereits übervollen Pariser Öffis ausweichen kann man voraussichtlich nur mehr bis zum darauffolgenden Donnerstag: Ab 2. Juni sollen Metro und Busse unbefristet streiken, die Fluglotsen folgen am 3. Juni. Sechs Tage später läuft die gewerkschaftliche Gnadenfrist für die Regierung ab: Am 10. Juni wird die EURO-Fußballmeisterschaft in Frankreich eröffnet – oder auch nicht.

Es ist also eine abgestufte Schraubstock-Strategie, mit der zwei der drei großen Gewerkschaftsbünde, allen voran die CGT, jetzt die sozialistische Regierung in die Knie zwingen möchten. Ihr erklärtes Ziel ist die Rücknahme der in erster Lesung bereits beschlossenen Arbeitsmarkt-Reform. Diese begünstigt innerbetriebliche Vereinbarungen über Arbeitszeit-Verlängerungen und die eventuelle Verringerung des Überstundenzuschlags (von 25 auf 10 Prozent). Allerdings müssen wirtschaftliche Erfordernisse für solche Maßnahmen nachgewiesen werden. Ebenso ist die Zustimmung eines Teils der betrieblichen Gewerkschaftsvertreter und (im Streitfall) der Belegschaftsmehrheit via Abstimmung nötig. Für die Unternehmerverbände bleibt das zu kompliziert. Die Gewerkschaften sehen darin hingegen eine Aushebelung der Kollektivverträge und mühsam erstrittenen Sozial-Gesetze, darunter der 35-Stundenwoche.

Diese Gewerkschaftsbünde begründen ihre radikale Vorgangsweise auch unter Hinweis auf eine Umfrage, wonach bis zu 75 Prozent der Franzosen das neue Arbeitsgesetz ablehnen. Viele Befragte geben aber zu, den Inhalt des Gesetzes wenig bis überhaupt nicht zu kennen. Außerdem befinden sich unter diesen Gegnern auch etliche, die diese Arbeitsmarkt-Reform ablehnen, weil aus ihrer Sicht darin noch immer zu viele oder gar neue sozialrechtliche Vorschriften enthalten sind. Im Endeffekt eint sie nur bloß eine allgemeine Stimmung des Überdrusses, der sich vor allem gegen die Staatsführung um François Hollande richtet.

Schüsse auf SP-Zentrale

Ein Teil des Wählerpotenzials der Linken, nicht zuletzt im Jugendmilieu, ist über den sozialliberalen Reformkurs der SP-Regierung besonders empört. An Demo-Tagen müssen SP-Parteilokale ihre Rollläden herunterlassen. Sonst drohen Verwüstungen, manchmal werden Türen zugemauert, auf die SP-Zentrale in Grenoble wurden Schüsse abgefeuert. Unter den SP-Abgeordneten geht die Angst um. Einer gestand: "Die Leute, die unsere Fassaden mit Plakaten vollkleben und beschmieren, sind mir immer noch lieber als diejenigen, die alles kurz und klein schlagen."