Politik/Ausland

SP-Regierung fürchtet Platz-Besetzer-Bewegung

Noch schmunzelt man darüber in Pariser Regierungskreisen, aber so manchem sozialistischen Politiker ist die Besorgnis anzumerken, wenn er sich zur Bewegung „La Nuit debout“ (Die Nacht steht auf) äußern muss: seit einer Woche wird die – erst seit kurzem verkehrsberuhigte – Place de Republique im Herzen des trendigen und volkstümlichen Paris von hunderten und manchmal tausenden Personen Tag und Nacht besetzt gehalten. Ähnliche Platz-Besetzungen finden auch in der Provinz statt.

Die Anwesenden diskutieren, auf dem Betonboden sitzend, stundenlang über neue Formen der Demokratie, Gennahrungsmittel, Solidarität mit Flüchtlingen, die Ausbeutung Afrikas, überbelegte Schulklassen in sozialen Brennpunkt-Vierteln, Wohnungsnot, willfährige Medien, die Verdorbenheit der Politiker, die Vorherrschaft der Finanz und das voraussichtliche Ende des Kapitalismus.

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Vegane Protestküche

Abgestimmt wird über Alltägliches: etwa ob auf dem besetzten Platz ein Alkoholverbot gelten soll, oder ob die nach Möglichkeit vegane Nahrung vor Ort oder nur in hygienisch einwandfreien Küchen zubereitet werden soll.

Parteipolitiker sind unerwünscht, die freie Äußerung aller Meinungen wird hoch gehalten, aber der Kern der Bewegung besteht zweifelsfrei aus erprobten links-alternativen bis links-radikalen Aktivisten. Die einen setzen auf rein friedliche Vorgangsweise und schwärmen von Verbrüderung mit der Polizei – nach vergeblichen Räumungsversuchen durch die Sicherheitskräfte in den ersten Nächten, wies die Pariser SP-Bürgermeisterin die Polizei an, den Platz nur mehr aus der Ferne zu sichern und mit den Anwesenden freundlich zu verfahren. Aber einige Besetzer plädieren für „heftige Aktionen“ gegen Bankfilialen, Mac Donald-Niederlassungen und Polizeikommissariate, in denen Demonstranten festgehalten werden.

Rebellion des linken Fußvolks

Die Platz-Besetzung entstand nämlich in Folge einer der großen Demonstrationen der Studenten, Schüler und Gewerkschafter, die seit Wochen anhalten und zuletzt immer häufiger in Zusammenstöße mit der Polizei mündeten. Die Proteste richten sich gegen ein neues Arbeitsgesetz, das den Kündigungsschutz und die Arbeitszeitvorschriften lockern soll.

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Die betont Unternehmer-freundliche SP-Regierung um Premierminister Manuel Valls erhofft sich davon eine erhöhte Bereitschaft der Arbeitgeber, mehr fixe Jobs zu schaffen. Laut Umfrage halten 71 Prozent der Franzosen diese Hoffnung für eine Illusion. Das linke Fußvolk sieht darin die Preisgabe der letzten sozialrechtlichen Schutzbestimmungen und rebelliert gegen die einst von ihm ins Amt getragene Staatsführung um Francois Hollande.

Am Samstag sind wieder landesweit Demos angesagt, es werden über eine Million Teilnehmer erwartet. Der Gipfelpunkt, also die Annullierung des Gesetzesentwurfs durch die Regierung, soll mit einem Mega-Streik-Tag Ende April erreicht werden, für den zwei der drei großen französischen Gewerkschaftsbünde rüsten. Die Platzbesetzer wollen bis dahin ausharren und als neuralgische Plattform „für das Zusammenströmen der verschiedenen Kämpfe“ dienen. Einige träumen davon, es der Bewegung der spanischen Platzbesetzer, den „Indignados, nachzumachen, die die neue LinksparteiPodemos“, hervorbrachten.

Ziemlich abgehoben

Einstweilen freilich wirken die Platzbesetzer von derartigen Zielen noch weit entfernt und gegenüber der übrigen Bevölkerung doch recht abgehoben. Die meisten Anwesenden kommen aus demselben Milieu: besonders engagierte Studentengruppen, kritische Künstler- und Intellektuellenkreise, junge Freiberufler aus dem so genannten „Kreativitäts-Sektor“, Veteranen der globalisierungskritischen Ökologieszene, lang gediente Mitglieder der diversen autonomen Basis-Initiativen und Solidar-Bewegungen wie etwa der DAL („Droit au Logement“), ein rühriger Selbsthilfeverein von Obdachlosen und Hausbesetzern. Zum breiten Arbeitnehmermilieu oder den Jugendlichen in den Vororten bestehen bisher aber kaum Brücken.

„Hüten wir uns vor dem Unter-sich-bleiben. Hier auf dem Platz sind wir uns alle ein bischen zu ähnlich“, warnte der linksalternative Ökonomie-Forscher Frederic Lordon bei seinem Auftritt während einer „Vollversammlung“ auf der Place de la Republique: „Unserem Ziel werden wir erst näher kommen, wenn sich die Taxi-Fahrer uns anschließen, die hier nebenan auf ihre Kunden warten, und die durch ein absurdes Wirtschaftssystem in einen Konflikt mit den Fahrern, die für Uber schuften, gehetzt wurden. Oder die Bauern, die fürchterlich leiden“.

Letztes Stückchen Autorität

Zwar braucht die sozialistische Staatsführung einen derartigen direkten Brückenschlag zwischen der Besetzerszene der Place de la Republique und den verzweifelten Teilen der französischen Bauernschaft oder etwa der Vororte-Jugend einstweilen kaum zu fürchten. Für Sorge an der Staatspitze sorgt aber die mögliche Fern- und Beispiel-Wirkung dieser Proteste, die weitere Konfliktherde in anderen Sozialbereichen anfachen könnte.

Außerdem wächst mit jeder weiteren Kundgebung die Gefahr eines besonders harten Zusammenstoßes mit der Polizei, bei dem Jugendliche ernsthaft verletzt werden könnten. Ein Todesopfer, wie bei einstigen Studentenprotesten, könnte eine Welle von Unruhen mit unabsehbaren Folgen auslösen. Gibt aber die Staatsführung aus Angst vor einer derartigen Eventualität allzu sehr nach und zieht den Gesetzesentwurf zurück, hätten Präsident Hollande und Regierungschef Valls ihr allerletztes Stückchen Autorität verspielt.