Frankreich rettet EU, EU rettet Frankreich
Von Danny Leder
Sollte Emmanuel Macron diesen Sonntag die Stichwahl für den Elysée gewinnen, wie es alle Umfragen erwarten lassen, werden alle Kräfte, die in der Europäischen Union ein hervorragendes Modell sehen, gehörig aufatmen. Angesichts der EU-Ausstiegspläne von Marine Le Pen dürfte Macrons voraussichtlicher Sieg die Union retten. Der Umkehrschluss gilt aber auch.
Tatsächlich hat die EU auch Macron entscheidende Wahlkampfmunition geliefert. Frankreich dürfte also dank der EU der Machtantritt der eifernden Nationalistin vermutlich erspart bleiben. Das veranschaulichte auch das TV-Duell am Mittwoch. In einer der Schlüsselszenen verhedderte sich Le Pen beim Thema Euro in einer Weise, die Mitleid erwecken konnte.
Hier Auszüge aus dem skurrilen Dialog. Macron: "Bleiben wir jetzt beim Euro oder nicht?" Le Pen: "Wir kehren zu unserer nationalen Währung zurück". Macron: "Wir verlassen den Euro?" Le Pen: "Nein, wir befreien uns von ihm und verwandeln ihn in die gemeinsame Währung, die er war, bevor er zur Währung Frankreichs wurde". Macron: "Werden wir mit dem Euro zahlen oder nicht?" Le Pen: "Die Notenbanken werden mit dem Euro zahlen, wenn sie es wünschen, die großen Unternehmen…" Macron: "Es wird zwei Währungen geben?" Le Pen: "Nein, nicht für die Franzosen, die Konsumenten, die kleinen Unternehmen." Macron: "Aber wozu wird dann der Euro dienen?". Le Pen: "Sie wissen es, das ist ein … (Le Pen stockt und sucht nach dem Wort)… das ist ein Korb der Währungen. Das hat es vor dem Euro gegeben, das wissen sie… Das EWS (Europäische Währungssystem). Das hat zwischen 1992 und 2002 sehr gut funktioniert. Aber was die Franzosen vor allem verstehen müssen, das ist, das sie das im äußersten Fall gar nichts angeht. Dieser Euro als gemeinsame Währung, das ist eine Währung zwischen den Staaten und Notenbanken."
Angst vor Euro-Austritt
Zu behaupten, ein derartiger Währungswechsel ginge "die Franzosen nichts an", ist schon mal erstaunlich. Le Pen, die ihre Erklärungen in gereiztem Ton, wie eine grantige Halbwüchsige, vortrug, lag gleich doppelt falsch: das erwähnte EWS, bei dem es um die Stabilisierung des Wechselkurses zwischen nationalen Währungen ging, wurde schon 1979 gegründet und fast ständig von Spekulationskrisen gebeutelt.
Die französische Bevölkerung erinnert sich zwar kaum an diese Währungskrisen vor Einführung des Euro (nur dazu befragte Wirtschaftsexperten verweisen darauf). Aber auch ohne diesen Wissensstand fürchten sich 72 Prozent der Bevölkerung, so die jüngste Umfrage, vor einem Euro-Austritt.
Um diese Hürde zu umschiffen, vollzog Le Pen jetzt, einen fatalen Zwischenschritt: statt des Euro-Austritts brachte sie die Idee von der Doppelwährung, verstärkt aufs Tapet. Und das auch nur auf Nachfrage. Damit aber verlor sie den Halt, den ihr in den letzten Jahren das Eintreten für den "Frexit" und die Ablehnung des Euro gebracht hatte. "Wenn ich nicht aus der EU gehe, muss ich auf 70 Prozent meines Programms verzichten", hatte sie noch Anfang März bekannt. Ihr jetziger, verworrener Rückzieher wirkt aber auch nicht beruhigend auf jene Wähler, die einen Euro-Austritt fürchten.
Es ist anzunehmen, dass das viel zu aggressive Auftreten von Le Pen im TV-Duell, ihre oftmals zerfahrene Art, ihr gekünstelte Lachen – also die ganze Unsicherheit, die sie in erstaunlichem Maß offenbarte – nicht zuletzt dem Dilemma entsprang, eine für sie selber ziemlich unklare Position zur EU vertreten zu müssen. Abgesehen davon, dass sie sich auch sonst, bei ihren restlichen, weitgehend unrealistischen wirtschafts- und sozialpolitischen Versprechen nicht sehr sattelfest zeigte, als Macron sie stellenweise einer Art Kreuzverhör unterzog.
Ausflucht war der ständige, brachiale Angriff auf Macron: er sei ein "gefühlloser Banker", der alles nur "auf Dividenden reduziere", für den Frankreich "käuflich" sei. Macron blieb ihr nichts schuldig und warf Le Pen "Blödheiten" und "Lügen" vor.
"Le Schlague"
Die Tiraden von Le Pen gipfelten in dem Vorwurf, Macron würde sich Angela Merkel "bäuchlings unterwerfen". Die deutsche Kanzlerin würde, so Le Pen, kraft ihrer Führungsrolle in der EU eine Politik des "Le Schlague" gegenüber Frankreich und anderen, wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten betreiben.
Es ist nicht das erste Mal, dass Le Pen dieses aus dem Deutschen übernommene Wort (Der Schlag) benützt, das an die Peitschenhiebe von KZ-Wächtern erinnert. Es ist zwar in Frankreich nicht mehr geläufig, aber die Nationalistin glaubt damit, sich von der NS-Sympathie gewisser Gründungskreise des "Front national" abzuheben. Gleichzeitig will sie den Ärger über Deutschland anstacheln. Dieser nährt sich bei Teilen der Bevölkerung aus dem Eindruck, in der EU von der florierenden deutschen Exportwirtschaft überrollt und übervorteilt zu werden. Das ist eine Herausforderung, die sowohl auf Macron, sollte er Präsident werden, als auch auf den übrigen EU-Staatsmännern noch lange lasten wird.