Politik/Ausland

Marine Le Pen profitiert von Pariser Anschlägen

Mein bevorzugter Zeitungshändler, der die Stimmung eines Teils meiner Nachbarschaft und dabei vor allem älterer Personen (die noch gedruckte Zeitungen kaufen, die Jüngeren machen das kaum mehr) ziemlich gut einfängt, eröffnete mir gerade seine Wahlprognose: "Diesmal schafft es der Front National. Auch Leute, von denen ich es nicht erwartet hätte, sind bereit, für Marine zu stimmen".

Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National (FN), galt schon vor den Pariser Terror-Anschlägen als klare Favoritin bei den bevorstehenden Regionalwahlen im Großraum "Nord/Pas de Calais/Picardie". In dieser nördlichsten Region Frankreichs, einer historischen Bastion von SP und KP, konnte der Niedergang der traditionellen Schwerindustrie bisher nur mangelhaft durch Hightech-Firmen und Dienstleistungsbetriebe wettgemacht werden.Der FN gedieh rund um diese Industriebrachen, zusätzlich angespornt durch das stellenweise Absacken sozialistischer Lokalbosse in deftige Pfründe-Affären. Zuletzt trug das ausufernde Flüchtlingslager in Calais, am Eingang des Tunnels unter dem Ärmelkanal nach England, ebenfalls zum Höhenflug des FN bei.

Aber jetzt zeichnet sich ein Dammbruch zugunsten des FN ab, der über diese nördliche Region (immerhin sechs Millionen Einwohner) noch hinausgehen dürfte. Die Regionalwahlen in zwei Durchgängen, am 6. und 13. Dezember, finden landesweit statt. Wobei es, nach Zusammenlegung der ursprünglich kleineren Regionen, um Verwaltungseinheiten geht, die in ihrer Dimension mit kleinen europäischen Staaten vergleichbar sind. Mindestens eine weitere dieser neuen Großregionen, die Provence/Alpes/Cote d’Azur (fünf Millionen Einwohner), könnte dem FN anheimfallen.

In beiden Regionen, dem Norden und dem Südosten, das haben alle Umfragen seit den Pariser Anschlägen übereinstimmend erbracht, dürfte der FN von einem bereits zuvor sehr hohen Niveau von über 30 Prozent den Sprung auf voraussichtlich 40 Prozent der Stimmen schaffen. Alles deutet daraufhin, dass die Dschihadisten mit ihren Massakern der Nationalistenpartei den entscheidenden Anstoß zum Durchbruch verschafft haben.

Präsident hält dagegen Der sozialistische Staatschef François Hollande hat zwar sofort eine radikale Verhärtung und Verstärkung der sicherheitspolitischen Maßnahmen gestartet: Ausnahmezustand für drei Monate, Massenfestnahmen unter radikalen Islamisten und vorläufige Aussetzung des Schengener EU-Abkommens über den freien Personenverkehr. Dazu die geplante Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft (betrifft vor allem Franko-Algerier), die sich eine Zusammenarbeit mit Terroristen zuschulden kommen lassen. Und schließlich die Aufstockung von Polizei und Armee sowie der Dienstwaffen-Gebrauch für Polizisten auch außerhalb ihrer Dienstzeiten.

Aber Marine Le Pen kann jetzt behaupten, Hollande habe sich damit einen Teil der Forderungen, die der FN seit Langem erhob, zu eigen gemacht. Dass die FN-Chefin zusätzlich einen kompletten Aufnahmestopp für Asylsuchende und die definitive Aufkündigung des Schengener Abkommens fordert, schockt die Wähler nicht weiter, die zuletzt Ähnliches oder Härteres gelegentlich auch von Politikern der konservativen Opposition gehört hatten.