Francois Hollande: Ohne Schirm, Charme & Methode
Von Danny Leder
Hollande ist kein echter Chef“, bricht es aus Christine hervor. Die 47-jährige Spitalsbedienstete ringt sich dieses Geständnis mit einer leichten Gesichtsröte ab, weil sie vor einem Jahr, bei den Präsidentenwahlen, für den Sozialisten gestimmt hatte – um den, wie sie damals sagte, „unmöglichen“ Nicolas Sarkozy loszuwerden. Eben weil sie den bürgerlichen Vorgänger von François Hollande für „allzu herrschsüchtig und aggressiv“ hielt.
Christine kann ihren Meinungsschwenk x-fach bestätigt finden, wenn sie einen Blick auf die beleuchteten Werbeflächen der Pariser Zeitungskioske wirft: „Monsieur Faible“ (Herr Schwächling) echot das Titelblatt des Magazins L’Express. Das Wochenblatt Le Point schlagzeilt bange: „Ist Pepère seiner Aufgabe gewachsen?“ Die eigenen Berater des Staatschefs hatten Hollande „Pepère“ getauft: Ein Dialektwort, das für Großväterchen steht, also ein Ruheständler, der sich nicht gerne aufscheuchen lässt und sich schon gar nicht zu schnellen Entscheidungen durchringen kann.
Zurückhaltung
Montebourg, forscher Vertreter des linken Regierungsflügels und Befürworter eines protektionistischeren Wirtschaftskurses, griff in die Entscheidung des teilstaatlichen Telekom-Konzerns Orange ein, der seine Tochtergesellschaft Dailymotion abtreten wollte. Prompt desavouierte der sozialliberale Wirtschaftsminister Pierre Moscovici die Entscheidung von Montebourg.
Zwei Strömungen
Tags darauf gab es eine erstaunliche Verbrüderung zwischen rechtsliberalen und linken Kommentatoren. Vertreter beider Richtungen erklärten sinngemäß: Wie auch immer man zur Frage des Verkaufs von französischen Firmen stehe, das Schlimmste sei die fortwährende Zurückhaltung des Staatschefs. Hollande könne nicht länger die Richtungsstreitigkeiten in seiner Regierung schleifen lassen, so als würde er die gegensätzlichsten Strömungen – also jene, die die EU-Sparvorgaben akzeptieren, und jene, die darin eine tödliche Gefahr für die französische Wirtschaft sehen – miteinander ringen lassen, ohne wirklich einzugreifen.
Inzwischen scheiterte dieses Steuerprojekt in seiner ursprünglichen Fassung am Veto des Verfassungsrats. Und zwar nicht wegen seiner Höhe, sondern weil es mit dem Prinzip der Globalbesteuerung pro Haushalt nicht vereinbar ist. Hollande startete einen neuen Anlauf, der jetzt die Unternehmen zwingt, bei Gehältern von über einer Million Euro die entsprechende Steuer abzuführen.
Politik der Symbole
Das Symbol bleibt also gewahrt. Das Problem ist freilich, dass Hollande die damit intendierte Besänftigung des linken Flügels seiner Anhänger und der sozial abgehängten Teile der Bevölkerung nicht gelungen ist – weil Symbole nicht ausreichen, um den Anstieg der Arbeitslosenrate auf elf Prozent wettzumachen. Während die 75-Prozent-Symbolik genügt hat, um Investoren zu verscheuchen.
So ging es Hollande im abgelaufenen Amtsjahr ständig. Stets gelang es ihm, sich zwischen die Stühle zu setzen. Das Pensionsantrittsalter, das Sarkozy auf 62 Jahre angehoben hatte, senkte der SP-Präsident für einen Teil der Beschäftigten wieder auf 60 Jahre. Aber natürlich ist diese Maßnahme langfristig kaum finanzierbar und wird nun von einer geplanten Anhebung des Pensionsantritts wieder annulliert werden. An den Schulen wurden Tausende neue Lehrer angestellt, aber ansonsten geht der Postenabbau im aufgeblähten öffentlichen Dienst weiter. Auch mit einem neuen Sozialpartnerschaftsabkommen, das Unternehmern mehr Flexibilität einräumt und Arbeitnehmern soziale Begleitmaßnahmen bietet, stieß Hollande auf mehr Kritik als Zustimmung.
Eigentlich könnten solche Kompromisse Hollande positiv angerechnet werden. Aber im Endeffekt haben die meisten Franzosen das Gefühl, nicht zu wissen, wohin die Reise unter Hollande geht. Hollande glaubt wohl, man könne der Bevölkerung nicht mehr zumuten, nachdem diese laut Umfrage zu 68 Prozent seine anfängliche Senkung des Pensionsantrittsalters bejubelt und ihm gleichzeitig Unfähigkeit beim Schuldenabbau vorwirft.
Bleibt ein Bonus, mit dem Hollande die aktuelle Durststrecke zu überdauern hofft. 52 Prozent der Franzosen halten ihn noch immer für „sympathisch“, 50 Prozent für „ehrlich“. Von solchen Werten konnte Sarkozy im Vergleichszeitraum nicht einmal mehr träumen.