Politik/Ausland

Francois Hollande auf Selbstzerstörungstrip

Verübt Francois Hollande politischen Selbstmord? Die Frage stellen sich jetzt sogar die allerletzten Kreise, die dem schwerstens angeschlagenen SP-Staatschef bisher noch die Treue hielten. Der Anlass ist ein soeben erschienenes Buch unter dem viel sagenden Titel: „Un président ne devrait pas dire ca“ (Ein Präsident sollte das nicht sagen). Darin werden auf 600 Seiten Gespräche wiedergegeben, die zwei Journalisten des linksliberalen Blatts Le Monde mit Hollande seit seinem Amtsantritt 2012 führten.

Hollande redet frei von der Leber in einer Weise, die teilweise missverständlich und teilweise unlogisch wirkt vor allem in Hinblick auf Anhaltspunkte, die seine öffentliche Amtspraxis bisher ausmachten. Am seltsamsten sind seine verächtlichen Äußerungen über die Justiz: „Diese Institution ist eine Institution der Feigheit… Diese ganzen Staatsanwälte, diese hohen Richter, die sich verschanzen und die Tugendhaften spielen. Die Justiz mag die Politik nicht.“

Dabei hatte Hollande noch eine Woche vor Erscheinen dieses Buchs auf dem Kongress einer – konservativen – Richtervereinigung die „Energie und Wachsamkeit“ der Justiz gepriesen, und war von den Teilnehmern wie kein anderer Politiker bejubelt worden. Denn wenn etwas die Amtszeit des SP-Präsidenten positiv auszeichnet, dann zweifellos die Tatsache, dass er, im Gegensatz zu seinem bürgerlichen Vorgänger Nicolas Sarkozy, keinen Druck auf die Justiz ausgeübt hat. Unter Hollande wurde die Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte gegenüber den politischen Amtsträgern gestärkt. Warum Hollande durch die Angriffe auf die Richter in dem Buch diese Erfolgsbilanz überschattete und jetzt Empörung im Justizmilieu auslöste, ist ein Rätsel.

Vergebliche Entschuldigung

Hollande verfasste zwar inzwischen ein Entschuldigungsschreiben an die Richterschaft. Darin drückt er sein „Bedauern“ dafür aus, dass er die Richter verletzt habe, „deren Mut er täglich ermesse“. Die ihm zur Last gelegten Äußerungen würden „nicht seinem wahren Denken entsprechen“. Aber die von Hollandes seltsamen Erklärungen ausgelöste Vertrauenskrise, vor allem in den eigenen Reihen der SP-Regierung und SP-Führung, ist damit aber keinesfalls ausgeräumt, zumal sich der Staatschef zu einer ganzen Reihe weiterer bizarrer Stellungnahmen in diesem Buch hinreißen hat lassen.

So distanziert sich Hollande von zwei Anliegen, für die er und seine Regierung sich massiv eingesetzt hatten: als Reaktion auf die Massaker der Dschihadisten in Paris hatte Hollande eine Verfassungsänderung durchzusetzen versucht, um Doppelstaatsbürgern, die wegen Terroraktivitäten verurteilt würden, die französische Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Jetzt erfährt man, dass Hollande persönlich von dieser Maßnahme nichts hielt.

Hollande glaubt auch nicht an die Verwirklichung des höchst umstrittenen Baus eines neuen Flughafens am Rande der westfranzösischen Stadt Nantes. Seit Jahren kämpfen Bauern und Umweltschützer dagegen. Sie wollen das Areal nötigenfalls gewaltsam verteidigen. Erst in der Vorwoche hatten sich dort zehntausende Demonstranten versammelt. Bei einer Abstimmung in dem Verwaltungsbezirk (Département) hatten sich allerdings 55 Prozent für den Flughafen ausgesprochen (die unmittelbar betroffenen Gemeinden hatten wiederum mehrheitlich dagegen gestimmt). Gestützt auf dieses Ergebnis hatte SP-Premier Manuel Valls angekündigt, er werde schon bald das Grundstück räumen lassen.

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Premierminister geht auf Distanz

Es ist daher kein Zufall, dass ausgerechnet Valls, der bisher als einer der loyalsten Gefährten von Hollande auftrat, jetzt, nach Erscheinen des Buchs, erstmals den Staatschef kaum verhohlen kritisierte („Wir müssen Würde bewahren“) und seine Bereitschaft für eine eigene Kandidatur bei den Präsidentenwahlen 2017 verdeutlichte – und damit die bereits angelaufene halb-offizielle Kampagne von Hollande für die Präsidentenwahlen desavouierte.

Hollande scheint zunehmend einzusehen, dass er bei einer neuerlichen Kandidatur nicht einmal eine Chance hätte, in die Stichwahl zu gelangen. Um einer derartigen Blamage vorzubeugen, könnte er versucht sein, die eigene Kampagne gewissermaßen zu sabotieren.