Corona-Krise: Hälfte der Italiener will EU-Austritt
Italien, spezielle der wirtschaftsstarke Norden, ist vom Coronavirus getroffen worden wie kaum eine andere Region der Welt. Bis vor Kurzem zählte das Land die meisten Toten weltweit; seit mehr als einem Monat ist die Bevölkerung angehalten, Häuser und Wohnungen nicht mehr zu verlassen.
Dass es trotz mehrfacher Hilferufe aus Rom sehr lange gedauert hat, bis man sich in Brüssel auf ein Hilfspaket hat einigen können, sorgt jetzt für massive Unzufriedenheit bei den Italienern. Erst vor zwei Tagen einigten sich die EU-Finanzminister auf ein 500-Milliarden-Euro-Paket, das allerdings nicht die von Italien und Spanien gewünschten Coronabonds - also die gemeinschaftliche Schuldenaufnahme aller EU-Staaten - enthielt.
In zwei Umfragen wird nun deutlich, wie unzufrieden die Italiener mit der EU darum sind. 49 Prozent der Befragten sind laut dem Institut Tecne für einen Austritt aus der EU. 51 Prozent für den Verbleib. Das sind um 20 Prozent mehr "IItaliexit"-Befürworter, als vor eineinhalb Jahren, als dies zuletzt abgefragt wurde.
Durchgeführt wurde die Umfrage unter 1000 Personen am 9. und 10. April, also kurz vor der Einigung auf Hilfszahlungen; die "Weiß nicht"-Stimmen wurden herausgerechnet.
Auch in einer anderen Umfrage fällt das Ergebnis ähnlich aus. Laut Termometro sind 39,9 Prozent für das Verlassen der EU, 40,9 Prozent sind für den Verbleib. Der Rest verteilt sich auf den Wunsch, nur aus der Eurozone auszutreten bzw. nur dort zu verbleiben, auch ohne EU-Mitgliedschaft.
"Misstrauisch gegenüber Europa"
"Die Italiener sind bereits sehr misstrauisch gegenüber Europa geworden. Es gibt das Risiko, dass ein 'Italexit' ausgelöst werden könnte“, sagte der der Direktor des Jacques Delors Instituts, Sébastien Maillard, zu den Folgen der Coronakrise. Die momentane Lage habe das Zeug, das Gefüge der EU erschüttern, so der Pariser Experte zur dpa: Gerade im besonders betroffenen Italien hätten Menschen das Gefühl, sich nicht mehr auf die Solidarität der traditionellen Partner verlassen zu können.
„Ein Europa ohne Italien ist eine tödliche Gefahr“, sagte Maillard. „Nach dem Brexit (dem britischen EU-Austritt) kann man sich nicht vorstellen, dass ein anderes Land die EU verlässt, vor allem ein Gründerstaat.“ Über den Fall Italien hinaus drohe der Union mit 27 Staaten ein Stillstand. Denn die zu erwartende Rezession in vielen Ländern könnte eine soziale Krise auslösen und letztlich auch nationalistische Kräfte stärken.
Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors hatte das nach ihm benannte Institut für europäische Fragen 1996 gegründet. Der 94 Jahre alte Franzose, der die Brüsseler Behörde von 1985 bis 1995 führte, hatte bereits Ende vergangenen Monats vor mangelnder europäischer Solidarität in der Corona-Krise gewarnt.