Politik/Ausland

Türkei wird Grenzen kontrollieren und erhält Milliarden

Die Erfolgsmeldung kam knapp vor Gipfelbeginn aus Ankara: „Wir sind einem Deal sehr nahe. Es dürfte einen gemeinsamen Aktionsplan für die Flüchtlinge geben“, erklärten zeitgleich türkische Diplomaten und Kommissionsbeamte.

Nach dem Treffen der Staats- und Regierungschefs erklärte EU-Ratsvorsitzender Donald Tusk in der Nacht auf Freitag, der Türkei sei für eine bessere Grenzsicherung eine Beschleunigung des Visa-Liberalisierungsprozesses angeboten worden und auch "sehr viel Geld". Ankara fordert im Zuge der Einigung drei Milliarden Euro für die Versorgung von Flüchtlingen im Land - das ist drei Mal soviel wie bisher von der EU angeboten. Dazu steht eine Einigung noch aus

Gipfel gerettet

Etwas Besseres als ein gemeinsamer Aktionsplan mit der Türkei in der Flüchtlingskrise konnten sich die 28 Staats- und Regierungschefs gar nicht wünschen, das rettete ihren Gipfel.

„Alles, was uns hilft, dass Flüchtlinge dort bleiben können und dort menschlich behandelt werden, wo sie sind, nämlich in der Region, ist richtig“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann. Der französische Präsident François Hollande erklärte, es gehe vorrangig darum, Länder wie die Türkei, Jordanien und den Libanon zu unterstützen, um dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge dort blieben.

Kurzum: Das primäre Anliegen der EU ist, die Flüchtlinge von einer Weiterreise nach Europa abzuhalten, die Außengrenze stärker zu kontrollieren und den Schleppern den Kampf anzusagen. Das war die Stoßrichtung der EU-Granden bei ihrem vierten Treffen zur Flüchtlingskrise innerhalb von sechs Monaten.

Harte Verhandler

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Für die EU verhandelten das Abkommen der Erste Vizepräsident Hans Timmermans und Erweiterungskommissar Johannes Hahn. Fast die ganze Nacht sprachen sie zuerst mit Ministern in Istanbul, danach mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Regierungschef Ahmet Davutoğlu in Ankara.

Hartnäckig war beim Ringen um eine Kooperation die türkische Seite – ihre Forderungsliste war lang. Die Visa-Liberalisierung wird für 2016 in Aussicht gestellt, nicht erst 2017. Der Beitrittskandidat Türkei wird ein sicherer Drittstaat, so wie alle Beitrittswerber auf dem Balkan. Für die Flüchtlinge gibt es finanzielle Unterstützung in Höhe von bis zu drei Milliarden Euro für zwei Jahre, das Geld kommt nicht aus dem Topf „Vorbeitrittshilfe“, sondern wird extra im EU-Budget aufgetrieben.

Neue Dynamik wird es in den Beitrittsverhandlungen geben. Angeblich fünf weitere Kapitel, darunter die heiklen Justiz und Grundrechte, werden angepackt.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich mit der Einigung „sehr zufrieden“. Frankreichs Staatspräsident François Hollande betonte, dass die Visa-Freiheit für Türken genau geprüft werden müsse, er mahne zu Vorsicht.

Scharfe Grenzkontrollen

Die Türkei ist im Gegenzug bereit, die Grenzen zu Land und zur See genau zu kontrollieren, dem Menschenschmuggel einen Riegel vorzuschieben und neue Flüchtlingslager zu errichten. Griechenlands Premier Alexis Tsipras drängte auf die Errichtung von Hotspots auch in der Türkei. Er will mit der Türkei auch stärker zusammenarbeiten. In den Hotspots (Erstaufnahmezentren) sollen die ankommenden Flüchtlinge registriert und Fingerabdrücke genommen werden. Geht es nach der EU-Kommission, sollen diese Hotspots auch Asylsuchende abweisen und zurückschicken.

Das Türkei-Abkommen ist nur ein Teil der EU-Strategie. Die Hotspots in Griechenland, Italien und anderen Staaten an der Peripherie der EU müssen schnell arbeiten. Das Personal von Frontex und der EU-Asylagentur soll um mindestens 1100 Mitarbeiter aufgestockt werden, Österreich schickt 100 Beamte.

„Wir müssen den Druck erhöhen, dass Grenzkontrollen und Hotspots funktionieren, sonst scheitern 28 europäische Länder an der Bewältigung der Flüchtlingskrise“, warnte Faymann. Er reiste trotz Erkrankung zum Gipfel. Zwei andere blieben wegen Unwohlseins zu Hause. Der zyprische Regierungschef wurde von Tsipras vertreten, der kranke Malteser von Italiens Matteo Renzi.

Faire Lastenverteilung

Die deutsche Regierungschefin Angela Merkel appellierte erneut an ihre Kollegen, die Flüchtlinge in der EU fair aufzuteilen. Es sei notwendig, „mehr Ordnung und Steuerung“ zu bekommen.

„Es ist ja offensichtlich, dass einige wenige Länder im Augenblick sehr, sehr viele Flüchtlinge haben“, sagte Merkel mit Blick auf Staaten wie Deutschland, Österreich oder Schweden. Wenn diese Länder dann auch noch Personalkapazitäten an den EU-Außengrenzen stellen müssten, „wäre das nicht das, was wir unter einer fairen Lastenverteilung verstehen“.

Hollande sprang Merkel zur Seite und rief alle EU-Partner auf, solidarisch mit Deutschland zu sein. „Man muss dafür sorgen, dass Deutschland und andere Länder sicher sein können, dass wir gemeinsam die Außengrenzen kontrollieren.“

Juncker erinnerte die Regierungschefs daran, ihre Versprechen einzulösen, Geld für Flüchtlinge zu überweisen und Personal zu entsenden. Leicht entnervt stellte er fest: „Den Absprachen müssen jetzt endlich Taten folgen.“