Fischer reist nicht nach Armenien
Von Walter Friedl
Es wäre ein starkes politisches Statement gewesen, doch das offizielle Österreich zieht es vor, doch lieber nicht in Armenien dabei zu sein. Weder Bundespräsident Heinz Fischer noch Kanzler Werner Faymann oder Außenminister Sebastian Kurz werden bei den Gedenkfeiern anlässlich des 100. Jahrestages des Beginns der Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges in der Hauptstadt Eriwan anwesend sein. Der Staatschef müsse aus „Termingründen“ absagen, hieß es aus der Hofburg. Somit wird nur der in Wien ansässige und für Armenien zuständige Botschafter Alois Kraut Österreich in der Kaukasus-Republik vertreten.
Andere europäische Staaten schicken dagegen höchstrangige Repräsentanten nach Armenien. Frankreich etwa ist durch Präsident Francois Hollande vertreten, Griechenland, Zypern und Serbien schicken ebenfalls die jeweiligen Staatsoberhäupter. Auch Kreml-Chef Wladimir Putin wird an den Zeremonien um die Genozid-Gedenkstätte teilnehmen.
Die Türkei als Nachfolgerstaat des Osmanischen Reiches lehnt es weiterhin kategorisch ab, die Ereignisse von damals als Völkermord anzuerkennen. Weil der Papst aber genau das am vergangenen Sonntag getan hat, gibt es eine schwere Verstimmung zwischen Ankara und dem Vatikan – sogar der türkische Botschafter beim Heiligen Stuhl wurde vorübergehend in die Heimat beordert.
Parlamente von rund 20 Ländern haben inzwischen den Tod von 300.000 bis 1,5 Millionen Armeniern – je nach Standpunkt – als Genozid eingestuft, darunter das französische, das schwedische und das belgische. Auch das Europaparlament kam schon 1987 zu dieser Einschätzung. Am Mittwoch wollte es eine Resolution verabschieden, in der die Türkei aufgefordert wird, sich dieser Sichtweise anzuschließen, um eine „aufrichtige Aussöhnung zwischen dem türkischen und armenischen Volk“ anzubahnen. Der türkische Präsident Erdogan hatte das Votum bereits im Vorfeld als irrelevant abgetan: Egal, welche Entscheidung die Abgeordneten träfen, „sie wird zum einen Ohr rein- und zum anderen rausgehen“.
Das österreichische Parlament hat bisher noch keine Völkermord-Erklärung verabschiedet. Österreich war wie Deutschland im Ersten Weltkrieg mit dem Osmanischen Reich verbündet – beide Staaten wussten von den Massakern und Deportationen. Wobei sich Wien mit einem legistischen Kniff aus der Affäre ziehen will: Da es zum Zeitpunkt der Geschehnisse noch keinen Verbrechenstatbestand „Genozid“ gegeben habe, könne man sie auch nicht als Völkermord betrachten. Die entsprechende Konvention wurde erst 1948 von der UN-Generalversammlung beschlossen.
War der Massenmord an den Armeniern im Osmanischen Reich ein Genozid, also Völkermord? Die Frage sorgt heute, 100 Jahre danach, weiter für politische Verstimmungen. Vor wenigen Tagen hat Papst Franziskus in diesem Zusammenhang von Völkermord gesprochen und heftigste Reaktionen der Türkei provoziert. So bezeichnete Präsident Erdogan die Äußerungen des Kirchenoberhauptes als „Unsinn“.
Für Historiker aber scheint diese Debatte weitgehend erledigt, wie der KURIER in Gesprächen mit Experten feststellen konnte. „Einen beispielhaften Völkermord“ nennt etwa der Schweizer Historiker Hans-Lukas Kieser von der UNI-Zürich die Ereignisse, bei denen bis zu 1,5 Millionen Armenier ums Leben kamen: „Die Armenier waren eine klar abgegrenzte ethnisch religiöse Gruppe. Es war die nationalistische Logik führender türkischer Politiker, die zum tausendfachem Tod der Armenier führte. Außerdem wurde die Gruppe in ihrem Zusammenhalt zerstört.“
Die auch heute noch aktuelle Streitfrage, ob und wie weit die Führung des Reiches an der Planung des Massenmordes beteiligt war, ist für Kieser dabei nicht entscheidend. In letzter Konsequenz hätten die Planungen zum massenhaften Tod geführt. Der Schweizer knüpft auch eine Verbindung zur Vernichtung der Juden durch das NS-Regime. Neueste Forschungen hätten ergeben, dass dieser Umgang mit Minderheiten von vielen Nazis sogar als erfolgreiches Modell verstanden worden war.
„Moralisch war es Völkermord“
„In der Sache hat Kieser recht“, stimmt auch der österreichische Historiker Christoph Benedikter mit dem Schweizer Kollegen überein: „Moralisch handelt es sich auf jeden Fall um Völkermord. Wenn die Zahl der Opfer so groß ist wie bei diesem Verbrechen, dann ist es nicht entscheidend, dass es schriftliche Pläne der politischen Führung für die Vernichtung gibt. Da zählt das grauenhafte Ergebnis.“
Für Benedikter, der am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgen-Forschung tätig ist, gibt es an den grundsätzlichen Tatsachen keinen Zweifel: „Es waren die Deportationen geplant, es waren die Morde geplant.“ Doch für den Wissenschaftler sind trotzdem auch die historischen Umstände für das Verständnis der Ereignisse wichtig. Er verweist auf die unglaublichen sozialen Spannungen, die zu beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs in den Gebieten mit armenischer Minderheit existiert hätten. Die Verantwortlichen in der türkischen Führung hätten „im Windschatten des Krieges gehandelt“.