Europaforum Wachau: "Schurkenhafter Geist" der Erweiterung
Von Martin Gebhart
Ein Veranstaltungsort, zwei europäische Gefühlswelten. Das traditionelle Europaforum Wachau im Stift Göttweig bei Krems wurde dieser Tage zum Spiegelbild dafür, was der Kandidatenstatus für die Ukraine ausgelöst hat.
Am Freitag wurde von den Gästen diese Entscheidung des Europäischen Rates noch beklatscht. Dazu war sogar der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba per Video zugeschaltet, der von einem „historischen Tag“ und von einem „Akt der europäischen Stärke“ sprach.
Am Tag darauf trat Albaniens Premierminister Edi Rama auf dem Göttweiger Berg auf. Und er vermittelte den Zuhörern, mit welchem Frust die Vertreter des Westbalkans aus Brüssel zurückkehren. Oder wie es Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner bei ihren Grußworten im Stift formulierte: „Der Westbalkan ist wieder einmal enttäuscht worden.“
„Es ist an Tagen wie diesen vielleicht keine gute Idee, jemanden aus den Balkanstaaten zu so einer Veranstaltung einzuladen.“ Es klang ein wenig nach einer vorauseilenden Entschuldigung für die Worte, die danach folgten, als Edi Rama seine Rede so begann. Verbunden mit einem Kompliment an das Gastgeberland: „Es gibt keinen besseren Ort als Österreich, um sich von den deprimierenden Zusammenkünften in Brüssel zu erholen.“
Der albanische Premier soll auch schon im Vorfeld des Europäischen Rates die EU mit sehr harten Worten konfrontiert haben. Die Ausführungen in Göttweig wären da schon milder gewesen, wie Bundeskanzler Karl Nehammer danach feststellte. Der Frust und der Ärger waren dennoch zu spüren.
„Ohnmacht zu spüren“
Edi Rama sprach von einer großen Enttäuschung. Seit 17 Jahren warte Nordmazedonien darauf, dass auf den Kandidatenstatus endlich Beitrittsgespräche folgen. 26 EU-Mitgliedsstaaten seien dafür, nur Bulgarien wegen eines historischen Streits dagegen. Da haben „wir die Ohnmacht gespürt“, so Rama. Und: „Man sagt, Putin ist krank. Ich weiß nicht, ob es wahr ist oder nicht. Aber es schaut auch nicht so aus, als ob sich die EU in dem besten gesundheitlichen Zustand befindet.“
Es gehe da nicht nur um Bulgarien, sondern um „diesen schurkenhaften Geist der Erweiterung“. Albanien hat den Kandidatenstatus seit 2014, Beitrittsgespräche wurden genauso noch nicht begonnen. Er verglich das Ganze mit einer Heirat: „Man kann nicht Kandidat für eine Heirat sein mit jemandem, der nicht bereit ist, mit einem zu reden.“ Er sei nicht gegen den Kandidatenstatus für die Ukraine: „Sie stoppen jemanden, der die Weltordnung aus den Angeln heben will.“ Aber das Land sollte sich im Hinblick auf diese EU-Entscheidung nicht zu vieler Illusionen hingeben. Rama: „Da ist jetzt nur eine Pille gegen die Depression beschlossen worden, danach wird man sich mit der Realität von Nordmazedonien konfrontiert sehen.“
Am Ende seiner Rede verglich er die Situation des Westbalkans mit Samuel Becketts Theaterstück „Warten auf Godot“. Rama: „Das Leben imitiert das Theater.“ Wobei er die Hoffnung nicht aufgeben will, dass das Warten einmal zu Ende sein wird: „Wir brauchen die Europäische Union, aber diese braucht uns auch.“
Wie sehr der europäische Umgang mit dem Westbalkan Kanzler Karl Nehammer nervt, machte er in seiner Rede beim Europaforum deutlich. Wobei er nicht nur Nordmazedonien und Albanien ansprach. Wichtig ist für ihn auch, dass Bosnien-Herzegowina den Kandidatenstatus erhält, obwohl er genau wisse, dass es da noch sehr viele ethnische Spannungen zu lösen gebe.
Nehammer verteidigte seinen politischen Einsatz für den Westbalkan, „auch wenn es genug Menschen gibt, die mein Engagement infrage stellen“. Es gibt für ihn vier Gründe, warum Österreich diese Region so wichtig sein muss: Der wirtschaftliche Aspekt („Wir gehören zu den größten Investoren am Balkan“); die Kooperation im Sicherheitsbereich, wenn es um den Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität geht; die kulturelle Nähe; die geschichtlichen Wurzeln („Das ist für mich der stärkste Punkt“).