Politik/Ausland

"Europa kann nicht Banken retten, während es Kinder ertrinken lässt"

Eine erneute Flüchtlingstragödie hat sich am Montag im Mittelmeer zwischen Libyen und der süditalienischen Insel Lampedusa ereignet. Ein völlig überfülltes und veraltetes Boot mit mehr als 400 Personen an Bord war 40 Kilometer vor der libyschen Küste gekentert. 240 Menschen konnten nach dem Unglück im Kanal von Sizilien von Schiffen der italienischen Marine in Sicherheit gebracht werden. Auch mehrere Handelsschiffe, die Notsignale empfangen hatten, beteiligten sich an der Rettung.

Die Überlebenden der Katastrophe trafen gestern, Dienstag, in der sizilianischen Stadt Catania ein. "Es war die Hölle, man muss es mit eigenen Augen sehen, um die Tragödie zu verstehen", sagte Marineoffizier Romano. Für die weiteren 200 vermissten Personen kam wahrscheinlich jede Hilfe zu spät. Erst vor wenigen Tage ertranken 40 Flüchtlinge vor Libyens Küste.

Italien hat nach der Flüchtlingskatastrophe vor der Insel Lampedusa am 3. Oktober 2013, bei der 400 Flüchtlinge, darunter viele Frauen und Kinder, ums Leben kamen, die Mission "Mare nostrum" gestartet. Seit Jahresbeginn konnten dadurch 27.800 Personen gerettet werden. Täglich sind fünf Marine-Schiffe samt Hubschrauber und 900 Marine-Soldaten im Einsatz. Die militärische und humanitäre Aktion kostet das Land 9,3 Millionen Euro pro Monat – insgesamt wurden bisher 60 Millionen Euro ausgegeben.

Mehr Unterstützung

Diese Summe kann Italien nicht mehr länger alleine aufbringen. "Es ist eine begrenzte Mission, an der sich Europa beteiligen muss", erklärte Verteidigungsministerin Pinotti. Italien wiederholte, dass es den Flüchtlingsnotstand nicht allein stemmen könne. "Europa kann nicht Staaten und Banken retten, während es Mütter und Kinder ertrinken lässt", appellierte Premier Renzi, der heute Sizilien besucht, an die verantwortlichen EU-Politiker. Italien werde im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr das Thema Migration in den Vordergrund stellen. "Entweder hilft uns Europa beim Grenzschutz, oder wir werden uns dafür einsetzen, dass das einem Flüchtling in Italien gewährte Asylrecht in ganz Europa anerkannt wird", sagte Innenminister Alfano in Richtung Brüssel.

Vertreter der Linksparteien wehren sich dagegen, Einwanderung Not leidender Menschen ausschließlich mit repressiven Maßnahmen zu bekämpfen. Dieses Vorgehen verstärke nur die Macht der Schlepper. Sie riefen alle EU-Länder dazu auf, die Möglichkeiten für eine legale Einwanderung auszubauen. Seit Langem fordert die Bürgermeisterin von Lampedusa, Nicolini, die Einrichtung humanitärer Kanäle, um Asylberechtigte in Sicherheit in demokratische Länder einreisen zu lassen. Sie organisierte auf der Insel eine Arbeitsgruppe mit Anwälten, die auf Asylrecht spezialisiert sind. "Wir können nicht so weitermachen. Der Asylantrag ist an Land zu stellen und nicht, indem Leute ihr Leben riskieren müssen", betonte Nicolini.

Brüssel ließ bisher mit konkreten Maßnahmen und Hilfszusagen auf sich warten. "Wenn jeder Staat ein paar tausend Personen aufnehmen würde, würde das einen Riesenunterschied machen", erklärte EU-Innenkommissarin Malmström.