Politik/Ausland

EuGH erlaubt Netzsperren bei Urheberrechtsdelikten

Es ist eine richtungsweisende Entscheidung für ganz Europa: Internetanbieter können nach EU-Recht dazu verpflichtet werden, Webseiten zu sperren, die Urheberrechtsrechte verletzen. Darüber urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag in Luxemburg und folgte damit der Meinung des Generalanwalts, der Netzsperren nach europäischem Recht für möglich hält. Die Sperrmaßnahmen müssen nach europäischem Recht aber ausgewogen sein. Access Provider werden demnach dazu verpflichtet, ihren Kunden das Aufrufen von urheberrechtsverletzenden Angeboten unmöglich zu machen. Der Accessprovider muss auch entscheiden, welche Maßnahmen am besten entsprechen, sie müssen aber nicht zu einer vollständigen Beseitigung der Verletzung führen.

Kino.to-Prozess in Österreich

Ausgangspunkt für die Entscheidung war ein Prozess in Österreich. Im November 2010 brachten das deutsche Filmstudio Constantin Film sowie die Filmproduktionsgesellschaft Wega eine Unterlassungsklage gegen den Breitbandanbieter UPC im Fall kino.to ein. Das Portal kino.to stellte der Öffentlichkeit unlizensiert über Links über 130.000 Filme zur Verfügung. Der Prozess zog sich durch mehrere Instanzen. In dritter Instanz landete das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Das Portal Kino.to stellte allerdings bereits 2011 den Betrieb ein. Durch einen „Whistleblower“ konnten die Hintermänner der Webseite, die massenhaft urheberrechtsverletzende Filme angeboten hat, in Deutschland gefasst werden. Der Verein für Antipiraterie (VAP) hatte zuvor „jahrelang“ versucht, die Betreiber des Portals auszuforschen.

Zugangssperren in 11 EU-Ländern

Mit diesem Musterprozess wollten die Filmproduzenten allerdings ganz generell von Anfang an erreichen, dass auch der Zugang zu anderen Websites, die Inhalte, die das Urheberrecht verletzen, beinhalten, blockiert werden muss. Beim EuGH-Urteil geht es daher auch vor allem um die Frage, ob Netzsperren in ähnlichen Fällen zulässig sind. Laut dem Verein für Antipiraterie (VAP) gibt es rechtskräftig gerichtlich angeordnete Zugangssperren zu „strukturell rechtswidrigen“ Webseiten mittlerweile in 11 EU-Ländern.

In Irland gäbe es beispielsweise ein „Memorandum of Understanding“ zwischen Provider und Kreativwirtschaft, das dort von UPC mitgetragen werde. "Österreich kann damit den vielen anderen europäischen Ländern folgen, in denen Gerichte bereits nach sorgfältiger Abwägung der Grundrechte und Prüfung der Verhältnismäßigkeit Zugangssperren angeordnet haben", sagt Werner Müller, Generalsekretär des VAP. Für ihn ist das Urteil ein "Sieg für die Kreativindustrie".

"Überschaubare Anzahl an Seiten"

Dem VAP geht es dabei vor allem um Webseiten, die vorsätzlich und in kommerzieller Absicht Urheberrechtsverletzungen fördern und daraus ein Einkommen generieren. Laut Müller handelt es sich dabei um „rund 100 Seiten“ im Netz, die „strukturell rechtswidrig“ seien. „Das ist eine überschaubare Zahl“, sagt Müller im Gespräch mit der futurezone. "Sobald die Büchse der Pandora einmal geöffnet ist, ist es nur eine Frage der Zeit bis weitere Begehrlichkeiten aufkommen“, meint dazu Maximiliam Schubert, Generalsekretär der Internet Service Provider Austria (ISPA).

"Twitter-Sperre wäre möglich"

Wären mit dem EuGH-Urteil beispielsweise auch Netzsperren von Twitter oder YouTube möglich? Vor einer Woche sorgte Recep Tayyip Erdoğan mit der Sperre von Twitter für Empörung. Die Kritik an dieser demokratiepolitisch bedenklichen Maßnahme war auch in der EU nicht zu überhören. Eine derartige Sperre wäre nach dem EuGH-Urteil - theoretisch - nun laut ISPA auch in Österreich möglich. „An sich ist auch Twitter nur eine Webseite und es braucht im Prinzip nur jemanden, der findet, dass dieser Nachrichtendienst dazu genutzt wird urheberrechtlich geschütztes Material zu verteilen“, skizziert Schubert, ein Worst-Case-Szenario.

Aus Sicht der ISPA haben die Verwertungsgesellschaften die Meinungsfreiheit im Internet niedergerungen, was als Rückschritt und große Gefahr für die weitere Entwicklung des Internets speziell in Österreich gesehen wird. „Wie weitreichend solche Sperrverpflichtungen gehen können, ist noch nicht abzusehen, aber Maßnahmen in einigen Ländern außerhalb der EU zeigen, dass hier einiges zu befürchten ist - ein trauriger Tag für eine offene und pluralistische Informationsgesellschaft“, sagt auch Günther Singer, Obmann des Fachverbandes Telekom/ Rundfunk in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).

"Grundstein für Zensurinfrastruktur"

Für den Verein Digitale Gesellschaft ist das Urteil ein "Grundstein für eine Zensurinfrastruktur". "Was der EuGH heute für urheberrechtsverletzende Inhalte entschieden hat, könnte morgen auch für politisch oder anderweitig unliebsame Internetseiten gelten. Netzsperren gefährden die Meinungs- und Informationsfreiheit, während sie zur Bekämpfung von Rechtsverletzungen weitestgehend untauglich sind", so Alexander Sander, Geschäftsführer des Vereins.

"Hat ein Gericht rechtskräftig festgestellt, dass eine Internetseite urheberrechtsverletzende Inhalte anbietet, so muss diese Seite vollständig aus dem Netz entfernt und nicht lediglich der Zugang zu ihr erschwert werden. Gerade der heute entschiedene Fall zeigt doch, dass erst durch die Abschaltung von kino.to die rechtswidrige Verbreitung der Filme wirksam unterbunden wurde”, so Sander zum konkreten Anlassfall. Für den Oscar-Preisträger und Filmproduzenten Veit Heiduschka, der als Kläger im konkreten Fall auftritt, ist die Entscheidung des EuGH stattdessen ein positives Signal: "Wenn Filmemacher nicht darauf vertrauen können, dass ihre Werke auch im Netz Schutz finden, wird die Entwicklung von legalen Geschäftsmodellen untergraben."

UPC zum Urteil

"UPC nimmt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Kenntnis. Wir sind der Ansicht, dass die Entscheidung, Webseiten oder andere Internet-Inhalte zu sperren, bei den Gerichten und Gesetzgebern liegen sollte. Wir freuen uns jedoch, dass der Europäische Gerichtshof nun die Richtung vorgibt, in welcher Art und Weise solche Entscheidungen künftig getroffen werden sollen", so Sigfried Grobmann, Pressesprecher von UPC.