Politik/Ausland

Der neue Mann auf Platz 383

Eugen Freunds Lebensabschnitt als EU-Abgeordneter beginnt mit einem Schritt aus dem Rampenlicht: Im Wahlkampf war er die Nummer eins der SPÖ, im EU-Parlament ist er der Mann auf Platz 383. Einer von 751 Abgeordneten, auf einem Platz, den man von der Zusehertribüne des Plenarsaals erst suchen muss.

Alle sitzen nach Alphabet, Freund daher zwischen dem Deutschen Fleckenstein und dem Rumänen Frunzulica, aber sein Platz passt auch symbolisch, findet er: "Ich sitze in der Mitte. Ein guter Platz für jemanden, der neu in der Politik ist. Ich muss nicht in der ersten Reihe sitzen – aber auch nicht in der letzten", sagt Freund im Gespräch mit dem KURIER, "Ich fühle mich da sehr wohl."

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Erlöst vom Wahlkampf

Freund wirkt entspannt, man könnte sagen: Angekommen im Parlament, erlöst vom holprigen Wahlkampf. "Super" sei die neue Rolle, sagt er: "Man kann viel mehr machen, ohne dass einem ständig wer auf die Finger schaut. Eine tolle Aufgabe, ich freue mich wahnsinnig."

In einer Sitzungspause am Nachmittag sitzt Freund bei einem Kaffee in der "Abgeordneten-Bar" des Parlaments; hinter ihm, außerhalb seines Sichtfeldes, hat Marine Le Pen, die Galionsfigur der Rechten, Platz genommen; vor ihm gibt die Glasfront den Blick auf das sommerliche Straßburg frei, ein Touristenboot fährt gerade am Parlament vorbei. Eine fast idyllische Pause im hektischen Parlamentsalltag, den Freund mit einer ordentlichen Portion Anfangseuphorie und Neugier zu beginnen scheint. In der Außenpolitik will er seinen Schwerpunkt setzen – Ukraine-Krise, Syrien-Krieg, da müsse doch auch das Parlament mehr tun; dazu will er sich bei Forschung und Entwicklung einbringen, bei Zukunftsthemen.

Wie hat Freund den Moment erlebt, als Dienstagvormittag in der Mitte des Plenarsaals ein kleines Orchester die Europa-Hymne spielte und er hochoffiziell EU-Abgeordneter wurde? "Beeindruckend", sagt Freund, "allein, dass du ununterbrochen von den unterschiedlichsten Sprachen, Nationen, Ethnien umgeben bist. Dass das möglich ist, gemeinsam in einem Saal zu sitzen. Ein unglaublich tolles Projekt. Dass man da dazugehört, das ist eine Erfahrung, die einen bescheiden macht."

Die Freude war nicht gänzlich ungetrübt: Während Freund sich zur Hymne erhob, drehten sich einige Euroskeptiker demonstrativ weg (siehe unten). Andere, wie FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky, blieben sitzen. "Ich finde es verrückt", sagt Freund, "dass solche Leute, die das Parlament ablehnen, sich dafür bewerben."

Anfangsfrische

Man merkt in diesen ersten Tagen, dass Freund die Frische des neu gewählten Abgeordneten hat; dass er nicht, wie manchen das passiert, gleich vom Parlamentsbetrieb verschluckt wurde.

Er fährt in der Früh mit dem Fahrrad vom Hotel ins Parlament, verfällt im Gespräch nicht in Politsprech. Und als während der ersten Debatte viele Abgeordnete reflexartig in Unterlagen blättern oder zum Handy greifen, sobald eine andere Fraktion am Wort ist, ist in der Mitte des sozialdemokratischen Blocks etwas Ungewöhnliches zu beobachten: Eugen Freund sitzt einfach nur da – und hört zu. Die Welt scheint in Ordnung zu sein auf Platz 383.