EU warnt Türkei vor Scheitern von Visa-Pakt
Die EU warnt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor dem Scheitern der geplanten Visa-Befreiung und rüttelt damit auch am Flüchtlingsabkommen. "Alles, was die türkischen Behörden bisher gemacht haben, führt mich zu der Annahme, dass letztendlich die Türkei keine europäischen Standards übernehmen will", sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Dienstag in Brügge.
Visa-Freiheit Voraussetzung für Flüchtlingsabkommen
Unter diesen Umständen könne den Türken aber keine visafreie Einreise in die EU gewährt werden. Für die Regierung in Ankara ist jedoch der Wegfall der Einreisegenehmigungen Voraussetzung für das Flüchtlingsabkommen. Juncker pochte darauf, die Türkei müsse als eine Voraussetzung für die Visa-Befreiung ihre Anti-Terror-Gesetze entschärfen. "Wir brauchen die Türkei (...), aber wir können nicht unsere wichtigsten Prinzipien aufgeben", erklärte Juncker. Erdogan lehnte Abstriche an den Anti-Terror-Gesetzen bisher ab und pocht auf die Reisefreiheit als Gegenleistung für das Flüchtlingsabkommen. Darin hat sich die Türkei verpflichtet, von ihrem Territorium aus in die EU illegal eingereiste Flüchtlinge zurückzunehmen.
"Deutschland ist das Land, das Terrorgruppen im Kampf gegen die Türkei am meisten unterstützt"
Die Türkei bekräftigte ihre Kritik an der Aufnahme von Türken, die ihr Land aus Furcht vor Verfolgung verlassen haben. Seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli sind mehrere Zehntausend Menschen verhaftet oder aus dem Staatsdienst entlassen worden. "Deutschland ist das Land, das Terrorgruppen im Kampf gegen die Türkei am meisten unterstützt", sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Ankara. Konkret nannte er die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK und die linksradikale DHKP-C. Deutschland halte sich selbst für eine Demokratie erster Klasse und die Türkei nur für zweitklassig, sagte der Chefdiplomat. "Wir wollen, dass sie uns als gleichberechtigte Partner behandeln."
Merkel spricht von "alarmierenden Signalen"
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach mit Blick auf das Vorgehen gegen Opposition und Presse in der Türkei von alarmierenden Signalen, die EU sehe "sehr besorgniserregende Entwicklungen". Merkel betonte, für Hilfesuchende gebe es rechtsstaatliche Verfahren: "Wir wissen, wenn Asylgründe vorliegen, dann wird das von unabhängigen Institutionen entschieden." Zu ihrem Kurs gegenüber Ankara sagte sie: "Wir arbeiten politisch erst einmal darauf hin, dass in der Türkei eine Situation entsteht, die es nicht notwendig macht, dass Menschen um Asyl ansuchen müssen, sondern wo die Grundfreiheiten gegeben sind." Sie betonte, Deutschland werde sich weiterhin für die Rechte von Abgeordneten und Pressefreiheit einsetzen. Außenstaatssekretär Michael Roth bot Regierungskritikern Asyl in Deutschland an.
In einer Stellungnahme rief die EU die Türkei auf, demokratische Standards zu wahren. Dort wurde auf die geplante Wiedereinführung der Todesstrafe, die Schließung regierungskritischer Medien und die Festnahme oppositioneller Parlamentarier hingewiesen. Die Türkei sollte die PKK als terroristische Gruppe verfolgen, aber die Verhaftung von Abgeordneten einer legalen kurdischen Partei spalte die Gesellschaft. "Die Rückkehr zu einem glaubwürdigen politischen Prozess und zu einem ernst gemeinten politischen Dialog ist essenziell für die Demokratie des Landes und die Stabilität in der Region", heißt es in der Stellungnahme, die einen Tag vor Erscheinen des sogenannten Fortschrittsberichts veröffentlicht wurde. In dem Bericht bilanziert die EU die Anstrengungen der Türkei, die Voraussetzungen für den gewünschten Beitritt zum Staatenbund zu erfüllen.
Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim sagte, man erwarte einen Fortschrittsbericht, "der frei von Vorurteilen ist". Er fügte hinzu: "Wir hoffen, dass dieser Bericht keiner wird, der die bisherigen unglückseligen Erklärungen berücksichtigt."
Harte Kritik an Türkei aus Österreich
Bei einer Pressekonferenz mit dem Dachverband kurdischer Vereine in Österreich kritisierten indes mehrere Abgeordnete den Kurs der türkischen Regierung. Der Weg der türkischen Regierung "ist der Weg in den Autoritarismus, in eine Diktatur", sagte SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Mit dem Flüchtlingsdeal sei Erdogan "ein Hebel in die Hand gegeben worden, den er nicht bekommen hätte sollen", konstatierte ÖVP-Menschenrechtssprecherin Elisabeth Pfurtscheller. Die Verhaftungswelle zeige, dass Erdogan den Friedensprozess nicht weiterführen wolle und den "Flüchtlingsdeal platzen lassen will", so die Grüne Berivan Aslan. Wir "müssen wir aufhören, weiter Gelder in die Türkei zu schicken", forderte Nikolaus Scherak von den NEOS.
80 Prozent der Österreicher sind indes gegen einen EU-Beitritt der Türkei, nur mehr zehn Prozent befürworten einen solchen. Dies ergab eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE).