Politik/Ausland

EU steuert auf Bruch mit Türkei zu

Recep Tayyip Erdoğan kennt keine Grenzen mehr: Die Politik des türkischen Staatspräsidenten nach dem gescheiterten Putschversuch Mitte Juli wird immer autoritärer, ohne Ende werden Beamte entlassen, Oppositionelle verhaftet, Zeitungen und Vereine geschlossen. Die große Mehrheit der EU-Abgeordneten lässt sich den Verfall von Demokratie und Rechtsstaat in einem EU-Kandidatenland nicht mehr länger bieten: Am Mittwoch soll der Text einer Resolution vorliegen, der die sofortige Suspendierung der Beitrittsverhandlungen verlangt und der Türkei droht, EU-Gelder einzufrieren und die seit 1996 bestehende Zollunion nicht auszuweiten."

Die EU muss Erdoğan klarmachen, dass er nicht schalten und walten kann, wie er will, ohne mit Konsequenzen zu rechnen", betonte die Vizepräsidentin des Parlaments, Ulrike Lunacek. Mit der Resolution, über die am Donnerstag abgestimmt wird – und wofür die Unterstützung von Christdemokraten, Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen als sicher gilt – ist das Parlament die erste EU-Institution, die konkrete Maßnahmen gegenüber der Türkei verlangt. "Das ist ein starkes politisches Signal", sagt ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas.

Schlupfloch

"Die Menschen in der EU wollen ein klares Zeichen, dass angesichts der Vorkommnisse in der Türkei, die gegen Demokratie, Menschenrechte und europäische Grundwerte verstoßen haben, nicht zur Tagesordnung übergegangen wird." Rechtlich bindend ist die Resolution nicht, aber die Wirkung gegenüber Rat und Kommission werde sie nicht verfehlen, heißt es. Schlupfloch In einer kontroversiellen Debatte Mittwochnachmittag forderten rechtsnationale Abgeordnete den sofortigen Abbruch der Türkei-Gespräche.

Das Gegenargument war, dass die Aussetzung die Aufnahme neuerlicher Verhandlungen ermögliche, sollten sich die Verhältnisse in der Türkei deutlich verbessern. Der Menschenrechtssprecher der Europäischen Sozialdemokraten, Josef Weidenholzer, will "nicht mehr über eine EU-Vollmitgliedschaft verhandeln. Wir müssen über andere Optionen reden."

Schulz: "Strafmaßnahmen überlegen"

Die Resolution beflügelt Regierungschefs, wie den österreichischen Kanzler Christian Kern, von seinen Amtskollegen endlich Taten gegenüber der Türkei einzufordern. Treffen könnten Ankara auch finanzielle Strafen, wie das Einfrieren der Vorbeitrittshilfen (4,5 Milliarden Euro sind geplant, ein Teil ist ausbezahlt). Parlamentspräsident Martin Schulz stellte wirtschaftliche Sanktionen in den Raum: "Wir werden als EU darüber nachdenken müssen, welche wirtschaftlichen Maßnahmen wir ergreifen können."

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Einig sind sich viele Abgeordnete darüber, dass von der Kürzung der Mittel nicht Gelder für Flüchtlinge oder für das Studentenaustausch-Programm Erasmus betroffen sein dürfen, um nicht die Falschen zu treffen. Noch vor Weihnachten könnten die EU-Außenminister die Resolution umsetzen. Die Suspendierung der Beitrittsgespräche ist mit qualifizierter Mehrheit möglich. Der sofortige Stopp muss einstimmig beschlossen werden. Noch ist der sultaneske Staatschef Erdoğan unbeeindruckt von Maßregelungen und jeder Kritik aus der EU. "Niemand hat das Recht, sich in innere Angelegenheiten der Türkei einzumischen", sagte er am Dienstag bei einer Rede in Ankara. "Jetzt liegt es an den EU-Granden, Erdoğan zu widerlegen", wünschen sich viele EU-Parlamentarier.

Aus Ankara kommen neuerlich heftige Breitseiten gegen Österreich. Wie sich Kanzler Christian Kern und Außenminister Sebastian Kurz über die Türkei äußerten, "ist schlimmer als die Aussagen rechtsextremer Politiker", wetterte Europaminister Ömer Celik (Kern hatte im KURIER am Sonntag gesagt, auch eine rechtsstaatliche Türkei habe nicht unbedingt einen Platz in der EU). Die "anti-türkische Rhetorik" und "islamophobe Politik" mit dem Ziel, gegen die extreme Rechte zu punkten, "stärken nur den Rechtsextremismus und den Rassismus".

Im Land am Bosporus selbst zieht Erdoğan seine harte Linie durch. Neuerlich wurden fast 10.000 Angehörige der Sicherheitskräfte sowie 5420 zivile Staatsdiener entlassen. Insgesamt wurden seit dem Putschversuch vom 15. Juli mehr als 100.000 Beamte gefeuert. Ihnen wird vorgeworfen, Sympathisanten der Bewegung des Predigers Fetullah Gülen zu sein, den Ankara für den gescheiterten Umsturz verantwortlich macht. "Wir wissen, dass der Staat von dieser Verräterbande noch nicht vollkommen gesäubert wurde", sagte Erdoğan.

Auf dessen Intervention wurden jetzt der umstrittene Gesetzesentwurf zurückgezogen, der Kindesmissbrauch unter bestimmten Umständen straffrei gestellt hätte.