Politik/Ausland

EU gibt offenbar grünes Licht für umstrittene Pkw-Maut

Vor einem Monat verkündete die EU-Kommission, Deutschland wegen der Pkw-Maut zu verklagen. Nun stehen die Zeichen plötzlich auf Einigung.

Im Streit um die deutsche Pkw-Maut bahnt sich nach Informationen vom Donnerstagabend eine überraschende Verständigung zwischen der EU-Kommission und dem deutschen Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) an. In Verhandlungen hätten beide Seiten "sehr weitreichende Fortschritte" erzielt, wie eine Kommissionsprecherin am Abend in Brüssel sagte. Zuerst hatte die Bild-Zeitung über den Durchbruch berichtet.

Kommission bestätigt Fortschritte

Dobrindt setzt jedenfalls auf eine baldige Verständigung mit der EU-Kommission. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe sich persönlich stark engagiert, um eine gemeinsame Lösung zu finden, sagte der CSU-Politiker am Donnerstagabend. "Wir bewegen uns aufeinander zu, und ich bin sehr zuversichtlich, dass die Einigung mit der EU-Kommission im November steht."

Die Kommission hatte Ende September angekündigt, Deutschland wegen Benachteiligung von Ausländern vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen. Haupt-Kritikpunkt ist, dass nur Inländer für Maut-Zahlungen bei der Kfz-Steuer entlastet werden sollen. Zuletzt habe es auch direkte Gespräche zwischen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Dobrindt gegeben, sagte die Sprecherin.

Kommission soll Klage zurückziehen

Nach Angaben aus Kommissionskreisen sehen die Absprachen vor, dass das deutsche Mautgesetz in einigen Punkten geändert wird. Dabei gehe es unter anderem darum, günstige Kurzzeit-Tarife für Pendler und Touristen aus dem EU-Ausland einzuführen, hieß es. Also auch für Autofahrer aus Österreich.

Zudem solle auf die sogenannte 1:1-Kompensation bei der Kfz-Steuer verzichtet werden. Die neuen Pläne sehen demnach vor, die Steuerentlastung an den Schadstoffausstoß zu koppeln.

Nach Bild-Informationen will die Kommission im Gegenzug für die Zugeständnisse ihre Klage gegen die Maut vor dem EuGH zurückziehen.

Das Gesetz ist längst beschlossen, wird wegen des EU-Verfahrens aber noch nicht angewendet. Wann eine Umsetzung starten könnte, ist weiterhin offen. Das Modell sieht vor, dass inländische Autobesitzer auf Autobahnen und Bundesstraßen eine "Infrastrukturabgabe" zahlen sollen, Pkw-Fahrer aus dem Ausland auf Autobahnen. Nach Abzug der Systemkosten sollen jährlich 500 Mio. Euro hereinkommen.

Der Rechtsstreit mit der EU über die deutsche Pkw-Maut dreht sich um das bisher angestrebte spezielle Berliner Modell.

Die Maut

- gilt für inländische Autobesitzer auf Autobahnen und Bundesstraßen, für Pkw-Fahrer aus dem Ausland nur auf Autobahnen.

- kostet Inländer im Schnitt 74 Euro Jahresmaut, je nach Größe und Umweltfreundlichkeit des Autos. Für Ausländer gibt es außerdem eine gestaffelte Zehn-Tages- und Zwei-Monats-Maut (5 bis 30 Euro).

- belastet zusätzlich unterm Strich nur Fahrer aus dem Ausland, Inländer bekommen ihr Geld über eine niedrigere Kfz-Steuer zurück.

- wird kontrolliert durch elektronischen Abgleich von Autokennzeichen, es gibt also keine Klebe-Vignette.

- bringt nach Angaben des Ministeriums 500 Millionen Euro jährlich nach Abzug der Systemkosten ein - Kritiker bezweifeln das.

Chronologie

15. Juli 2013: Die CSU nimmt eine Pkw-Maut "für Reisende aus dem Ausland auf deutschen Autobahnen" in ihr Bundestags-Wahlprogramm auf.

1. September 2013: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt im TV-Wahlkampfduell: "Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben."

27. November 2013: CDU, CSU und SPD vereinbaren die Einführung einer Pkw-Maut im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-roten Regierung.

10. April 2014: Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) verkündet: "Am 1. Januar 2016 wird die Pkw-Maut scharf gestellt."

7. Juli 2014: Dobrindt präsentiert sein Konzept: Die Maut tauft er "Infrastrukturabgabe", kassiert werden soll sie auf allen Straßen.

1. September 2014: Nach Protest aus Teilen der CDU wegen befürchteter Negativ-Effekte für Grenzregionen spricht Merkel ein Machtwort für die Maut: "Sie steht im Koalitionsvertrag, und sie wird kommen."

17. Dezember 2014: Das Kabinett beschließt die Maut - auf Autobahnen und Bundesstraßen, für ausländische Pkw nur auf Autobahnen. Inländer bekommen ihr Geld über eine niedrigere Kfz-Steuer zurück.

18. März 2015: Die SPD knüpft ihre Zustimmung an Bedingungen, unter anderem Änderungen an den Kurzzeittarifen für Wagen aus dem Ausland.

27. März 2015: Trotz offener Zweifel an den erhofften Einnahmen und der EU-Zulässigkeit beschließt der Bundestag die Einführung der Maut.

8. Mai 2015: Gegen den Widerstand mehrerer Länder billigt der Bundesrat die Maut-Gesetze - die letzte nationale Hürde.

31. Mai 2015: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kündigt eine Prüfung der Maut wegen erheblicher europarechtlicher Zweifel an.

8. Juni 2015: Bundespräsident Joachim Gauck unterzeichnet die Maut-Gesetze. Drei Tage später werden sie rechtskräftig.

18. Juni 2015: Die EU-Kommission gibt die Einleitung eines Verfahrens bekannt. Dobrindt verschiebt den Maut-Start bis nach einem Urteil.

30. Juni 2016: Nach dem Austausch der letzten Stellungnahme zwischen Berlin und Brüssel wird deutlich: Der Dissens bleibt bestehen.

29. September 2016: Die EU-Kommission beschließt, Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen.