EU-Gipfel verschärft Asylpolitik - Außengrenzschutz verstärkt
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich beim EU-Gipfel auf eine Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik geeinigt. Von der Migration besonders betroffene Staaten wie Italien, Griechenland oder Spanien sollen zudem auf freiwilliger Basis von Flüchtlingen entlastet werden, so die Kompromissformel nach einer nächtlichen Marathonsitzung. Daneben wird der Schutz der EU-Außengrenzen verstärkt.
Es dauerte bis 4.34 Uhr, ehe EU-Ratspräsident Donald Tusk in Brüssel via Twitter eine Einigung verkündete, die mehrmals an der Kippe stand. Italien hatte mit einem Veto gedroht, falls es in der Frage der Flüchtlingsverteilung nicht endlich zu Taten kommt. Frankreich schlug darauf hin unter dem Motto Solidarität in Abstimmung mit Italien freiwillige Zentren für Flüchtlinge innerhalb der EU vor. Von dort sollen Flüchtlinge freiwillig auf andere EU-Staaten verteilt werden können. Nachdem eine Reform des Dublin-Verfahrens, wonach das Ersteinreiseland für Registrierung und Asylverfahren von Migranten zuständig ist, derzeit keine Chance auf Umsetzung hat, war der Ansatz der Freiwilligkeit der kleinste gemeinsame Nenner.
Erstmals enthält eine Gipfelerklärung das Ziel zur Schaffung von Flüchtlingszentren in Staaten außerhalb der EU. Flüchtlinge sollen künftig im Mittelmeer abgefangen und in sogenannte Anlandeplattformen nach Nordafrika zurückgebracht werden. Daneben einigten sich die Staats-und Regierungschefs auch auf einen verstärkten Schutz der Außengrenzen. Frontex soll bereits bis 2020 personell und finanziell aufgestockt werden. Für Afrika wird es darüber hinaus mehr Geld geben. Der EU-Treuhandfonds für Afrika wird aufgestockt, von bis zu 500 Mio. Euro war in Ratskreisen die Rede. Weiters wurde die Auszahlung der zweiten Tranche an die Türkei beschlossen, die für ein Flüchtlingsrücknahmeabkommen mit der EU zwei mal 3 Mrd. Euro erhält.
NGO-Schiffe aus libyschen Gewässern verbannt
In die Gipfelerklärung aufgenommen wurde auch ein von Österreich unterstützter Vorschlag Maltas, wonach Schiffe von NGOs und Hilfsorganisationen, die im Mittelmeer unterwegs sind, um Flüchtlinge aus Seenot zu retten, künftig aus den libyschen Küstenregionen verbannt werden sollen. Bei Verstößen soll es Maßnahmen geben. Die libysche Küstenwache soll zugleich dabei unterstützt werden, Flüchtlinge bereits in libyschen Hoheitsgewässern abzufangen und nach Nordafrika zurückzubringen.
Aus Seenot gerettete Migranten sollten "auf Grundlage gemeinsamer Anstrengungen" in von Mitgliedstaaten freiwillig eingerichtete "kontrollierte Zentren" gebracht werden, hieß es. Dort solle "mit voller EU-Unterstützung" überprüft werden, ob es sich "um irreguläre Migranten, die zurückgebracht werden" handle oder um Schutzbedürftige.
Für Asylberechtigte werde dann "das Solidaritätsprinzip" unter den Mitgliedstaaten der EU gelten, erklärte der Gipfel. Sie könnten dann in andere EU-Länder kommen, aber nur, wenn diese dem auf freiwilliger Basis zustimmten.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bewertete die Beschlüsse positiv. "Wir sind froh, dass es jetzt endlich einen Fokus auf die Außengrenzen gibt", sagte Kurz. Die Einigung sei ein "wichtiger Schritt in die richtige Richtung". Laut Kurz gab es eine "lange und harte Diskussion", und es gebe noch immer sehr unterschiedliche Zugänge zur Migrationspolitik. Auf verpflichtende Quoten bei der Flüchtlingsverteilung habe man sich jedenfalls nicht einigen können. Und punkto Freiwilligkeit stellt der Kanzler klar, dass sich Österreich nicht an einer Flüchtlingsverteilung innerhalb der EU beteiligen werde. Österreich habe bereits überproportional viele Menschen - "deutlich mehr als andere Staaten" - aufgenommen. Es gehe vielmehr darum, den Zustrom zu reduzieren.
Conte: Italien ist nicht länger allein
Italiens Regierungschef Giuseppe Conte hat sich zufrieden mit den Beschlüssen des EU-Gipfels zu Migration gezeigt. "Italien ist nicht länger allein", sagte Conte am frühen Freitagmorgen nach stundenlangen Beratungen in Brüssel. Die Regierung in Rom hatte am Donnerstag alle Gipfelbeschlüsse wegen Forderungen in der Flüchtlingsfrage zunächst blockiert.
Italien sieht sich als Hauptankunftsland für Flüchtlinge auf der Mittelmeerroute von den anderen EU-Staaten allein gelassen. Denn nach den EU-Regeln ist normalerweise das Erstankunftsland für Asylbewerber zuständig. Aus Protest hat Italien bereits Schiffen mit vor Libyen geretteten Flüchtlingen die Einfahrt in seine Häfen verweigert.
Merkel sieht "große Zahl an Aufgaben" für Österreich
Merkel zeigte sich nach der Einigung auf weitere europäische Schritte in der EU-Asylpolitik Freitagfrüh optimistisch und zuversichtlich. Man hatte zwar "viel zu tun, die verschiedenen Sichtweisen zu überbrücken, die gute Botschaft ist, dass wir einen gemeinsamen Text verabschiedet haben".
Im Zusammenhang mit den geplanten Flüchtlingszentren außerhalb der EU, betonte Merkel, dass es wichtig sei, diese Plattformen in Zusammenarbeit mit dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR, der International Migration Organisation (IMO) und den betroffenen Staaten in Afrika zu erreichten. "Wir wollen in Partnerschaft mit Afrika arbeiten. Nur so werden wir wirklich eine Win-Win-Situation erzeugen." Bei der Einrichtung dieser Zentren müsse darüber hinaus internationales Recht eingehalten werden.
Zwecks Stärkung des Außengrenzschutzes soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex bereits bis 2020 deutlich finanziell und personell aufgestockt werden. Daneben haben sich die EU-Staats-und Regierungschefs auch auf die Auszahlung der zweiten Tranche an die Türkei geeinigt, die für einen Flüchtlingsdeal mit der EU zwei mal 3 Mrd. Euro erhält. Für Afrika soll es zudem mehr Geld geben, der EU-Treuhandfonds für Afrika wird laut Merkel aufgestockt.
In Sachen Sekundärmigration innerhalb Europas habe man eine stärkere Ordnung und Steuerung vereinbart. Klar sei, dass alle sich an Regeln halten müssten und sich kein Asylbewerber einen EU-Staat aussuchen dürfe. 5 von 7 der Dossiers aus dem Asylpaket seien inzwischen geklärt. "Jetzt wird bei der österreichischen Präsidentschaft noch eine große Zahl an Aufgaben liegen", sagte die deutsche Bundeskanzlerin.
"Schwierige Verhandlungen" in Marathonsitzung
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sprach nach der Marathonsitzung von einer echten Einigung der 28 EU-Staaten. Auch die Osteuropäer und die südlichen Ankunftsländer seien dabei. Die Verhandlungen seien "außergewöhnlich schwierig" und komplex gewesen in allen Aspekten. Die Gipfeleinigung müsse nun erst ausgearbeitet werden. Mit Ländern außerhalb Europas sollen ähnliche Absprachen wie mit der Türkei getroffen werden. Die freiwilligen Flüchtlingszentren in Europa sollen dazu beitragen, Asylverfahren schneller abzuwickeln. Das Problem sei nicht gelöst, die EU habe nur einen Schritt geschafft, sagte Rutte. Insbesondere die freiwillige Verteilung in der EU müsse noch ausgearbeitet werden.