Klimapolitik als Verteilungskampf
Beim letzten Gipfel unter seinem Vorsitz hatte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy Donnerstagabend eine besonders harte Nuss zu knacken: Es galt, unter den 28 Staats- und Regierungschefs Einigkeit über neue Klimaziele der Union zu schaffen.
Nach den Krisenjahren wollen viele die Wettbewerbsfähigkeit in den Vordergrund stellen – und die Industrie in Europa nicht durch ambitioniertere Klimaziele belasten bzw. gar vertreiben. Während manche die Vorreiterrolle Europas beim globalen Umweltschutz betonen, ist man andernorts genau dieser Rolle müde geworden: Wozu sich selbst anstrengen, wenn USA, China & Co. maximal halbherzig nachziehen?
Ost gegen West
Van Rompuy war auch Vermittler in einem Verteilungskampf, der sich zwischen ärmeren und reicheren Staaten abspielte: Eine Gruppe von „jungen“ Mitgliedsstaaten (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien) wollte finanzielle Unterstützung zugesichert haben. Für sie sei die wirtschaftliche Belastung beim Klimaschutz besonders hoch; Polen etwa ist noch immer sehr kohlelastig.
Zu Beginn des Gipfels tagte eine Vierer-Runde: Van Rompuy vermittelte zwischen Kanzlerin Angela Merkel, Präsident François Hollande und der polnischen Regierungschefin Ewa Kopacz.
Basis der Debatte unter den EU-Granden waren die Vorschläge der EU-Kommission aus den letzten Monaten: Die Treibhausgas-Emissionen sollen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent gesenkt werden – bis 2020 gilt schon jetzt ein Minus von 20 Prozent als Ziel. Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Energieverbrauch soll auf 27 Prozent steigen (2020-Ziel: 20 Prozent). Beim Energieverbrauch sollen 30 Prozent eingespart werden (2020-Ziel: 20 Prozent).
Bis in die Nacht hinein wurde nicht nur um die einzelnen Prozentsätze gefeilscht – im Gespräch waren bei den Erneuerbaren und der Effizienz jeweils 27 bis 30 Prozent –, sondern auch um Erleichterungen für Staaten mit viel Aufholbedarf. Dabei ging es laut Verhandlern vor allem um die Gratis-Zertifikate für -Emissionen, die Polen statt bis 2019 bis 2030 erhalten will.
Wie sah die bisherige Klimapolitik der EU aus?
Das letzte Energie- und Klimapaket stammt aus dem Jahr 2009. Damals legte die EU für 2020 drei Prozentzahlen als Ziele fest: mindestens 20 Prozent weniger Treibhausemissionen im Vergleich zum Jahr 1990; 20 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien wie Wind oder Sonne; und eine 20-prozentige Steigerung der Energieeffizienz, also Einsparungen beim Verbrauch. Gleichzeitig wurde ein Emissionshandel vereinbart.
Über was wird nun verhandelt?
"40-27-30" - so lautet die Formel, die für die Zeit bis zum Jahr 2030 gelten soll, also 40 Prozent weniger CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990, mindestens 27 Prozent erneuerbare Energien und 30 Prozent mehr Energieeffizienz. Das zumindest ist der Vorschlag der EU-Kommission. Doch um praktisch jeder Zahl ist ein heftiger Streit entbrannt.
Worin liegt das Problem?
Offiziell betonten alle Länder, dass sie die Klimaerwärmung bekämpfen wollen. Das Problem ist der stark abweichende Energiemix von Land zu Land: Frankreich setzt auf Atomkraft, Deutschland steigt da gerade aus und fördert erneuerbare Energien, Schweden bezieht schon mehr als die Hälfte seiner Energie aus Biomasse und Wasserkraft, einige osteuropäische Länder nutzen dagegen weiter fast ausschließlich Kohlekraftwerke. Hinzu kommen Staaten wie Großbritannien, die verpflichtenden Zielen generell ablehnend gegenüber stehen.
Was will Deutschland?
Deutschland kann sich "noch ambitioniertere Ziele vorstellen", wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vergangene Woche im Bundestag sagte. Doch laut EU-Diplomaten könnte das 30-Prozent-Ziel bei den Energieeinsparungen nun auf Druck Großbritanniens auf nur noch 27 Prozent gesenkt werden. Und ursprünglich wollte Deutschland auch, dass alle drei Ziele verbindlich sind, also auch das bei der Energieeffizienz. Das ist nicht in Sicht.
Wo liegt das Problem für die osteuropäischen Länder wie Polen?
Die Energieerzeugung in vielen osteuropäischen Staaten ist noch stark von Kohle geprägt. Bei Polen liegt der Anteil bei rund 90 Prozent. Um die Ziele bei der Verringerung der Emissionen zu erreichen, müssten die Osteuropäer kräftig in erneuerbare Energien investieren, zumindest aber in moderne Filteranlagen in ihre Kraftwerke einbauen. Dafür bräuchten sie Milliarden.
Woher soll das Geld für den Umbau des Energiesektors in Osteuropa kommen?
Würde Polen den Umbau seines Energiesektors aus eigener Tasche zahlen, würden sich die Energiepreise laut Warschau mehr als verdoppeln. Im Gespräch ist deshalb ein Ausgleichsfonds oder ein Solidarmechanismus. Ein Vorschlag sieht vor, dies über den Emissionshandel zu machen und Ländern wie Polen kostenlos zusätzliche Verschmutzungsrechte zuzuteilen, die verkauft oder versteigert werden können.
Droht ein Scheitern des Klimapakets auf dem Gipfel?
Auszuschließen ist das nicht. Klimabeschlüsse müssen einstimmig gefällt werden, es reicht also eines von 28 Ländern, das sich querstellt - und Polen hat bereits mit einem Veto gedroht. Dann würde das Thema womöglich erneut beim Dezember-Gipfel kurz vor Weihnachten angegangen - oder noch später.
Wieviel Zeit bleibt, um sich auf die Klimaziele zu einigen?
Auf UN-Ebene ist vereinbart, die Klimapläne bis Ende März 2015 einzureichen. Bei der nächsten UN-Klimakonferenz in Paris ab Ende November 2015 sollen dann globale Ziele im Kampf gegen die Erderwärmung festgelegt werden. Bei einer Hängepartei riskiert Europa nach Einschätzung von Umweltschützern seine "Vorreiterrolle" in der Klimapolitik, was die Bereitschaft großer Verschmutzer wie USA oder China zu deutlichen Emissionsreduzierungen mindern könnte.
Als Herman Van Rompuy vor fünf Jahren erster ständiger Präsident des Europäischen Rates wurde, kannte den flämischen Christdemokraten außerhalb Belgiens kaum jemand - und dies ist im Grunde bis heute so geblieben. Diese mangelnde Berühmtheit entspricht allerdings dem Amtsverständnis des 66-Jährigen und war letztlich der Grund, weshalb er von den Staats-und Regierungschefs berufen wurde.
Schließlich sollte der neu geschaffene Posten nicht mit einem allzu charismatischen Politiker besetzt werden, der den Glanz der Scheinwerfer von den Regierungslenkern ablenkte. Da schien der belgische Kollege, dem der britische Anti-Europa-Populist Nigel Farage uncharmant einst "das Charisma eines feuchten Putzlappens" bescheinigte, die richtige Wahl, auf die sich alle einigen konnten. Am 1. Dezember wird Van Rompuy nun nach zwei gelobten Funktionsperioden sein Amt an den Polen Donald Tusk übergeben.
Schließlich hat der als belgischer Kurzzeitpremier im Schmieden von Kompromissen und Bündnissen geübte Politiker aus den knappen Zeilen des Lissabon-Vertrags über das Amt des EU-Ratspräsidenten ein Maximales herausgeholt. So berief Van Rompuy während der Eurokrise fast monatlich Gipfel ein und schaffte es, in Personalunion auch das im Zuge der zahllosen Krisensitzungen der Euroländer neu geschaffene Amt als Präsident der Euro-Gipfel zu übernehmen. Auch bestreitet der Ratspräsident mittlerweile verlässlich G-20-Treffen neben dem EU-Kommissionschef.
Als Meister des Austarierens von Interessen und des geräuschlosen Schlichtens von Konflikten erwarb sich Herman Achille Van Rompuy eine Achtung, welche die Personalauswahl von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy 2009 zu bestätigen scheint. In Belgien selbst hatte sich der am 31. Oktober 1947 in Brüssel geborene Van Rompuy, der in Löwen nicht nur Philosophie, sondern auch Betriebswirtschaftslehre studierte, diese Fama damals bereits erworben. So hatte er 2008 in seiner Heimat den Posten des Regierungschefs von seinem glücklosen Vorgänger Yves Leterme übernommen und in seiner kurzen Amtszeit das Land am Höhepunkt des Konflikts zwischen Flamen und Wallonen wieder in ruhigere Fahrwasser geführt.
Die kontemplative Ruhe zur Vermittlung bezieht Van Rompuy nicht zuletzt aus seiner schöngeistigen Ader. So dichtet er japanische Haikus, wobei diese Kurzgedichte in strenger Form, die er auch in Buchform veröffentlicht, so gar nicht von der Politik handeln - wie etwa seine Ode an die gleichnamige Stadt Matsuyama: "How these short stanzas/Can make a city greater/Haiku capital".
Darüber hinaus gilt der Ästhet im Gewande eines Sparkassenfilialleiters als Experte in Fragen des Christentums, als Kenner der großen asiatischen Weisheitslehren und als großer Freund von Thomas von Aquin - alles Interessensgebiete, denen sich der bald 67-Jährige künftig wieder verstärkt wird widmen können. Eine vermutlich aus der Haiku-Schule perfektionierte Kunst wird Van Rompuy allerdings weniger beachtet pflegen müssen: Sein bevorzugter Weg, Entscheidungen bei Gipfeln in wenigen Silben auf dem Internetportal "Twitter" zu verkünden, dürfte ab dem 1. Dezember nicht mehr gefragt sein.
Es ist die höchste Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre seit 800.000 Jahren, die vergangenen 30 Jahre waren die wärmsten seit 14.000 Jahren, und gerade haben die Österreicher den zweitwärmsten März seit Beginn der Temperatur-Messungen im Jahr 1767 erlebt. Dass diese und andere Langzeit-Rekorde Folgen für die Natur haben werden, ist klar.
Welche, darüber beriet der Weltklimarat in Japan bis Sonntag. Nach tage- und nächtelangem Ringen haben sich Wissenschaftler und Regierungsvertreter auf eine Kurzfassung geeinigt (Details auf Englisch auf der Website des IPCC): Der Klimawandel werde nicht einfach milderes Wetter bringen – mit weniger Frost und längeren Vegetationsperioden –, was die Landwirtschaft freuen wird. Der Weltklimarat rechnet mit mehr Extremen, mit Stürmen, Fluten und Dürren. Für die Alpen bedeutet die Steigerung um einige Grad Celsius: grüne Almen statt Skipisten, Regen statt Schnee sowie Steinschlag und weiter schwindende Gletscher.
Ende der Vielfalt
Franz Essl von der Abteilung Biologische Vielfalt und Naturschutz am Umweltbundesamt geht von einem gemittelten Temperaturanstieg von 2,5 bis zum Jahr 2100 aus, "das ist das, was man sicher annehmen muss". Damit wird es für Arten wie das Karlszepter, ein Läusekraut, das nur noch im Endlacher Moor im Paltental (Obersteiermark) wächst, zu warm. Ein anderes Eiszeitrelikt, der Moorsteinbrech, ist bereits in den 1990er-Jahren aus Mitteleuropa verschwunden. Der Schuldige ist auch hier: der von Menschen verursachte Klimawandel. Essl: "Diese Pflanzen leben in großen Schutzgebieten, in die nicht eingegriffen wird. Zuvor haben sie an diesen Standorten 10.000 Jahre überdauert."
Der Klimawandel steht zwar erst am Anfang, daher sind die Auswirkungen noch nicht so gravierend, aber die Geschwindigkeit, mit der er voranschreitet, ist bemerkenswert. Temperaturbedingungen, wie sie 1989 geherrscht haben, finde man heute 270 km weiter nördlich, was der Entfernung Wien–Zagreb (Luftlinie) entspricht. Sogar Vögel, die mobilsten Tiere, hinken hinterher, die schnellsten Arten konnten ihre Vorkommen nur 90 km nach Norden verschieben.
Langsamere Tiere, z. B. Schmetterlinge, haben keine Chance: Der Kalifornische Scheckenfalter wird vom Klimawandel dezimiert, vor allem seine südlichen Territorien sind durch die steigenden Temperaturen bedroht. Dabei sind gerade die südlichen Vorkommen die genetisch vielfältigen. Hier überdauerten viele Arten die letzte Eiszeit. Wenn diese Gebiete nun unbewohnbar werden, leidet die genetische Vielfalt.
Bei Birdlife registriert Norbert Teufelbauer feine Veränderungen bei den Kurzstreckenziehern unter den Zugvögeln. Zogen bisher die meisten Ringeltauben und Hausrotschwänze im Winter in den Mittelmeerraum, bleiben nun viele in Österreich. Umgekehrt können sich Wintergäste, wie Enten, den Weg vom Baltikum zu uns sparen. Es ist warm genug im Norden.
Das Folgen-Buch: Franz Essl & Wolfgang Rabitsch: "Biodiversität und Klimawandel. Auswirkungen und Handlungsoptionen für den Naturschutz in Mitteleuropa." Springer Spektrum. Preis: 51,40 €.