Härtere Sanktionen, aber kein Waffen-Embargo
Die Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland nehmen Gestalt an – beschlossen werden sie aber, wenn überhaupt, frühestens nächste Woche. Die EU-Kommission erfüllte am Donnerstag den Auftrag, den ihr die Außenminister zwei Tage zuvor gegeben hatten: Die Brüsseler Behörde legte eine Liste mit konkreten Vorschlägen vor, wie die nächsten Schritte gegen Russland aussehen könnten – inklusive eines Embargos von Rüstungsgütern und „sensitiver Technologie“, etwa im Energiebereich.
Konkret beschlossen die EU-Botschafter am Donnerstag die Erweiterung der Liste jener Personen, für die Einreiseverbote gelten und deren Konten gesperrt sind. Die Zahl der Betroffenen erhöht sich damit auf 87. Erstmals wurden auch 18 Organisationen und Unternehmen auf eine schwarze Liste gesetzt. Keine Entscheidung gab es hinsichtlich eines Waffenembargos.
Der weitere Maßnahmen-Katalog, der am Donnerstag in Brüssel von den EU-Botschaftern besprochen wurde, umfasst auch den Finanzbereich: Laut Diplomaten hat die Kommission ein Kaufverbot von russischen Aktien und Anleihen vorgeschlagen. Das soll die Finanzierung jener Banken erschweren, an denen der russische Staat mindestens 50 Prozent besitzt.
Einen Beschluss über weitere Sanktionen soll es frühestens kommende Woche geben: Am Dienstag tagen erneut die Botschafter, dann soll Ratspräsident Herman Van Rompuy das weitere Vorgehen festlegen. Er soll in Absprache mit den Hauptstädten entscheiden, ob weitere Sanktionen abgesegnet werden – oder ob es kommende Woche einen EU-Sondergipfel dazu geben soll.
Blick nach Moskau
„Entscheidend ist das Verhalten Russlands in den nächsten Tagen“, sagte ein EU-Diplomat zum KURIER. „Moskau muss kooperieren, damit alle Opfer von MH 17 nach Hause gebracht und beerdigt werden können. Der Kreml muss auch die Unterstützung der Separatisten, vor allem den Zustrom von Waffen über die Grenze in die Ostukraine stoppen.“
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel pocht darauf, dass Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt werden: Da Moskau kein Interesse an einer Aufklärung des Absturzes des Fluges MH 17 gezeigt habe, halte die Kanzlerin rasche Beschlüsse für nötig, hieß es in Berlin. Deutschland setzt sich aber für eine zeitliche Begrenzung harter Sanktionen ein: Damit soll Moskau der Weg zurück zur Normalität offengehalten werden.
Die aktuellen Entwicklungen rund um den Absturz von Flug MH 17 finden Sie hier.
Moskau zeigt sich gelassen in Hinblick auf mögliche Sanktionen und meint, das Wachstum werde nicht dramatisch einbrechen. Der ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin dagegen sieht die Lage pessimistischer. Er fürchtet eine Wachstumsdämpfung um rund ein Prozentpunkt. Wenn noch weitere Sanktionen dazu kämen, werde es noch schlimmer. Die Strafenh der EU könnten eine Gefahr für die Industrie-Modernisierung bedeuten.
Russlands Handelsminister Denis Manturow wiederum gibt sich demonstrativ gelassen. "Welche Sanktionen?" fragt er nur spitz. Was da vom Westen gegen sein Land unternommen worden sei, ist für ihn Kleinkram - "Peanuts". Andrej Belousow, Chef-Wirtschaftsberater von Präsident Wladimir Putin, assistiert: "Die Sanktionen in ihrem aktuellen Format haben keine volkswirtschaftlichen Effekte", versichert er. Er spricht allen Unkenrufen zum Trotz davon, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr um annähernd ein Prozent wachsen werde. Damit würde das Land noch einen deutlichen Sicherheitsabstand zu einer Rezession halten.
Skeptisch ist der Internationale Währungsfonds IWF. Das ganze Geschäftsmodell Russlands mit seinem Vertrauen auf den Energiereichtum und steigende Öl- und Gaspreise stehe auf der Kippe. Zukunftsfähig sei das nicht. Wenn es aber so ist, und darauf weisen westliche Wirtschaftsvertreter seit langem hin, dass Russlands Industrie marode ist und umfassend modernisiert werden muss, dann könnten weitere Sanktionen gerade hier eine Tür zuschlagen. Denn ohne westliche Hilfe, ohne das technologische Know-how deutscher und anderer hochentwickelter Firmen, etwa im Maschinenbau oder in der Steuerungstechnik, kann diese Modernisierung wohl kaum gelingen.
Insgesamt exportierte die EU im vergangenen Jahr Waren im Wert von 120 Milliarden Euro gen Osten. Der Löwenanteil entfiel davon mit rund 36 Milliarden Euro auf Deutschland. Trotzdem hat Berlin nach dem mutmaßlichen Abschuss eines malaysischen Passagierflugzeugs über der Ostukraine den Ton gegenüber der Regierung in Moskau deutlich verschärft..
Für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau spielt Russland eine wichtige Rolle. Auch deutsche Autos und Chemie-Produkte stehen bei russischen Kunden ganz oben auf der Hitliste. Rund 300.000 deutsche Arbeitsplätze sind vom Handel mit Russland abhängig, rechnet der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft vor. Russland wiederum exportiert nach Deutschland vor allem Rohstoffe und petrochemische Produkte. Bisher hatte Deutschland im Chor der 28 EU-Staaten eher eine Vermittlerrolle eingenommen, doch trotz der wirtschaftlichen Risiken scheint es damit nun vorbei zu sein.
Am lautesten haben sich Großbritannien, Polen und Schweden für harte Strafmaßnahmen gegen Russland eingesetzt. Die drei Länder exportieren zusammen weniger nach Russland als Deutschland, wären also von Sanktionen in geringerem Maße betroffen. In Großbritannien zog Premierminister David Cameron zuletzt Kritik auf sich, weil er sich für ein EU-Waffenembargo gegen Russland stark machte, seine Regierung aber zahlreiche Waffengeschäfte mit Russland genehmigte. Die Angelegenheit ist für Cameron auch deshalb delikat, weil er Anfang der Woche den milliardenschweren Verkauf von Kriegsschiffen aus Frankreich nach Russland scharf verurteilt hatte. Die französische Regierung wiederum beharrt darauf, zumindest einen fertiggestellten Hubschrauberträger wie vertraglich vereinbart nach Russland zu liefern. Für Frankreich kommt es nun darauf an, wie ein mögliches Waffenembargo der EU ausgestaltet wird.
Eine Sonderrolle nehmen die baltischen Staaten ein, in denen die Erinnerung an die Sowjet-Herrschaft noch besonders präsent ist. Litauen, Estland und Lettland pochen besonders hartnäckig auf Sanktionen, obwohl ihre Handelsbeziehungen zu Russland eng sind. Fast drei Viertel der Getränke- und Tabak-Exporte aus Lettland gehen nach Russland, während Litauen ein Drittel seiner produzierten Lebensmittel und Nutztiere ins Nachbarland liefert. Doch die baltischen Staaten wollen sich auch wirtschaftlich schon länger unabhängiger von Moskau machen. Die Hinwendung zum Westen untermauert Litauen im kommenden Jahr, wenn es Estland und Lettland in die Eurozone folgt.
Auf der anderen Seite standen bisher Staaten wie Italien, die mit den Folgen der Euro-Schuldenkrise kämpfen. Nach Deutschland liefert Italien die meisten Waren nach Russland, 2013 im Wert von fast elf Milliarden Euro. Das südeuropäische Land verkauft vor allem Industriegüter und chemische Erzeugnisse - also solche Produkte, die von der auf Rohstoffe fokussierten russischen Wirtschaft besonders dringend gebraucht werden.
Auch die Niederlande, deren Exporte acht Milliarden Euro umfassen, standen lange auf der Bremse, wenn es um eine härtere Gangart gegenüber Moskau ging. Nach dem Tod von 193 Niederländern bei der Flugzeug-Katastrophe in der Ukraine und dem Verhalten der prorussischen Separatisten hat sich die Haltung der Regierung in Den Haag aber geändert.
Zypern ist wie Italien nicht glücklich über die härtere Haltung der EU. Von den 94 Milliarden Dollar, die Russen 2013 außerhalb des Landes investiert haben, landeten nach UN-Angaben elf Milliarden Dollar auf Zypern. Im vergangenen Jahr mussten auch reiche Russen Verluste hinnehmen, als die Eurozone Anleger mit großem Guthaben bei zypriotischen Banken für das milliardenschwere Hilfspaket für das Euro-Land zur Kasse bat. Noch mehr Geld als auf Zypern landete von reichen Russen allerdings auf den britischen Jungferninseln: Vergangenes Jahr waren es 61,7 Milliarden Dollar.