Politik/Ausland

"Es würde mir das Herz brechen"

Es schien, als wäre er selbst von seinen Worten am meisten gerührt. Den Tränen manchmal hörbar nahe, versuchte David Cameron noch einmal, die Schotten davon zu überzeugen, sich nicht in die Unabhängigkeit zu verabschieden:

"Das ist keine Entscheidung für die nächsten fünf Jahre wie bei einer Parlamentswahl, das ist eine Entscheidung für das nächste Jahrhundert."


Eine Woche vor dem Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands hatte der Premierminister die politische Routine über den Haufen geworfen. Statt vor dem Londoner Unterhaus stand er an diesem Mittwoch in einer Versicherungszentrale im schottischen Edinburgh und versuchte an die Gefühle seiner Landsleute im Norden zu appellieren: "Es würde mir das Herz brechen, wenn diese Familie aus Nationen zerrissen würde." Der Regierungschef ging sogar so weit, an den gemeinsamen Sieg über Hitler-Deutschland zu erinnern. Einen Sieg, für den gerade die Schotten einen besonders hohen Blutzoll zu zahlen gehabt hatten.

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Nicht nur Cameron, auch sein politischer Gegenspieler in London, Labour-Chef Ed Miliband, und obendrein der liberale Vizepremier Nick Clegg waren nach Schottland geeilt, nachdem die jüngsten Umfragen die britische Politik in Ausnahmezustand versetzt haben: Nach einer unglaublichen Aufholjagd liegen die Befürworter einer Trennung von Großbritannien Kopf an Kopf mit deren Gegnern. Seit Tagen überbieten sich Regierung und Labour-Opposition mit Angeboten, Schottland wirtschaftlich und politisch aufzuwerten.

"Zu wenig, zu spät", kontert Schottlands Regierungschef Alex Salmond das hektische Buhlen um die Gunst seiner Landsleute. Der linke Nationalist weiß, dass er den politischen Wind im Rücken hat, dem großen Ziel seines ganzen politischen Lebens so nah ist wie nie zuvor: der Unabhängigkeit Schottlands.

Es sind vor allem die kleinen Leute in Schottlands oft abgewirtschafteten Arbeitervierteln und -städten, die hinter Salmond stehen – wie in Dundee, einer Hafenstadt an Schottlands Ostküste, die ihre besten Zeiten schon lange hinter sich hat. Und gerade deshalb glaubt man hier an die Unabhängigkeit als eine Chance für die Zukunft, als eine Chance, wie man auf der Straße hört, "dass wir uns endlich einmal um unsere Angelegenheiten und nicht um die von Mittelengland kümmern müssen."

"Kann uns nur nützen"

Hier hängen die blauen Transparente der Yes-Bewegung für die Unabhängigkeit hinter vielen Fenstern und Auslagen, flattert Schottlands Andreaskreuz an Autos. Hier lässt sich ein ehemaliger Werftarbeiter wie Sean von der Werbetour der Politiker nicht beeindrucken: "Schön, dass die auch einmal vorbeischauen, die drei Amigos, das kann uns und der Kampagne für die Unabhängigkeit nur nützen." Westminster, das Londoner Regierungsviertel, steht hier für den gesamten Ärger, das tiefsitzende Misstrauen, das man der Politik der Zentralregierung entgegenbringt. Von einem konservativen Premierminister wie Cameron lässt man sich hier nicht rühren, und auch nicht vor all den Warnungen, was einem unabhängigen Schottland alles passieren, was das kleine Land dann alleine nicht mehr zustande bringen könne: "Wir haben genug davon, dauernd zu hören, was wir nicht können. Wir Schotten konzentrieren uns jetzt darauf, was wir ab nächster Woche alles tun können."

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