Politik/Ausland

Kongress: Trump kann doch anders, wenn er muss

Für jeden anderen amerikanischen Präsidenten würde das Fazit dieser Rede so lauten: langweilig, viel Selbstverständliches, viel Pathos, wenig Belastbares. Bei Donald Trump liegen die Koordinaten anders und die Erwartungen inzwischen tiefer als die Grasnarbe. Darum das große Auftatmen.

Seit der 70-Jährige im Frühsommer 2015 über Amerika und die Welt gekommen ist, hat man ihn noch nie so verantwortungsbewusst, verbindlich, diszipliniert und präsidiabel erlebt wie bei seinem ersten Auftritt im Kongress am Dienstagabend.

Keine Hässlichkeiten gegen Andersdenkende. Keine persönlichen Beleidigungen. Keine Medienschelte. Ein halbwegs erträgliches Maß an Eigenlob. Kaum aus dem Ruder gelaufene Übertreibungen oder Falschdarstellungen des Ist-Zustandes. Kurzum: Kein Twitter-Mobbing.

Donald Trump, man hat es fast nicht für möglich gehalten, kann doch anders, wenn er muss. Und „muss“ ist das entscheidende Wort.

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Vermessung der Welt

Rund sechs Wochen nach Amtsantritt rangiert der Nachfolger von Barack Obama im Umfragenkeller. Über die Hälfte der Amerikaner fühlt sich verunsichert bis verängstigt. Das bizarre Feuerwerk von Sonder-Erlassen, das Trump mit Hilfe seines ideologischen Büchsenspanners Stephen Bannon abgebrannt hat, und sein permanentes Gegen-den-Strich-Regieren inklusive vieler Pannen und Widersprüche zeigt Wirkung. Die Unruhe hat bereits die eigenen (republikanischen) Reihen erfasst und die Fundamental-Opposition der Demokraten zusätzlich befeuert.

Mit seiner 60 Minuten langen Vermessung der Welt hat Trump (oder war es sein Avatar?) den aufkeimenden Sturm vorerst abgewettert und seiner an allen Ecken und Enden knarzenden Regierung wertvolle Zeit gekauft.

Positionen bleiben

Über die nächsten Tage werden sich Kommentatoren aller Denkschulen über die im Gegensatz zur Antrittsrede vom 20. Januar ungewohnt konziliante, wenig düstere und tatsächlich hie und da Gemeinsinn weckende Ansprache beugen wie Goldsucher übers gesiebte Gestein. Dabei werden bei genauerem Hinsehen nur wenige „Nuggets“ funkeln. Fast alles - von Terrorismus über sichere Grenzen bis zur „Amerika zuerst“-Philosophie - ist so oder ähnlich schon hundert Mal worthülsig angeklungen.

Mit einer Ausnahme: Trump denkt scheinbar über eine echte Reform der Einwanderungsgesetze nach. Und nicht nur über die Mauer zu Mexiko. Sollte er tatsächlich Millionen Illegale, die unauffällig und friedfertig in den USA leben und arbeiten, durch ein nachträglich zugestandenes Aufenthaltsrecht vor der Abschiebung bewahren, wäre dies ein riesiger Fortschritt. Obama ist daran gescheitert. Weil die Republikaner ihn scheitern lassen wollten.

Der Elchtest für Trump wartet aber im grauen Alltag. Dort wird sich ab heute zeigen, ob sich Mr. Unberechenbar nur dem Gebot der Stunde angepasst und das Kostüm des Staatsmanns übergezogen hat. Oder ob er es wirklich ernst meint, wenn er die Demokraten zum Mitgestalten einlädt.

Vage Versprechen

Weil Donald Trump in der Vergangenheit nicht nur einmal am Abend heftig dem widersprochen hat, was er am Morgen zuvor propagierte, ist Zurückhaltung geboten. Verlässlichkeit lässt sich nicht aus einer einzigen Rede destillieren. Und Trump, das muss man immer nüchtern mitdenken, ist ein Schauspieler vor dem Herrn. Hauptsache, die Quote stimmt.

Abseits bekannter Erbauungs-Rhetorik, die noch jeder Präsident in den vergangenen 50 Jahren angestimmt hat, blieb Trump bei allen großen Themen unverändert vage. Das kann sich schon bald rächen.

Die große Linie der Republikaner im Parlament - Stichwort: Haushaltssanierung - ist mit Trumps Dreiklang schwer vereinbar. Dreistellige Milliardenbeträge für Militär und Infrastruktur-Modernisierung ausgeben und gleichzeitig massiv die Steuern senken, das passt einfach nicht auf einen Deckel. Trump wird viele Konzessionen machen müssen. Ist er dazu fähig? Er ist historisch unpopulär. Daran ändert auch der krampfhafte Versuch nichts, aus einzelnen Umfragen stattliche Zustimmungswerte abzuleiten.

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Erste Kür erfolgreiche beendet

Nicht mehr lange, dann werden auch seine größten Fans spürbare Erfolge verlangen und sich nicht mehr mit Slogans („Make America great again“) abspeisen lassen. Neue, solide bezahlte Jobs. Mehr Arbeitsplatzsicherheit für wackelige Industrien. Ein Zuschlag bei den stagnierenden Löhnen. Steuergerechtigkeit. Bezahlbare und leistungsfähige Krankenversicherungen. Ein Konjunkturprogramm für die Ertüchigung von Straßen, Brücken, Häfen, Schulen und Flugplätzen. Das sind die echten Klippen, die Trump meistern muss. All das wird teuer und geht nur mit und niemals gegen den Kongress.

Hier wartet auf den New Yorker Geschäftsmann neben latent skeptischen Republikanern eine harte Nuss. Ähnlich wie Obama 2009 bei den Republikanern kann Trump bei den Demokraten nicht auf überparteiliche Zusammenarbeit hoffen. Die Opposition hat die Jagdsaison auf ihn längst eröffnet. Jede sich bietende Gelegenheit, man denke an die wie ein Damoklesschwert über Trump hängende Russland-Connection, werden die Truppen um das Führungsduo Chuck Schumer/Nancy Pelosi nutzen, um Material für ein Amtsenthebungsverfahren zu sammeln.

Mit der Rede im Kongress hat Donald Trump die erste Kür unerwartet erfolgreich beendet. Jetzt wartet die Pflicht. Für endgültige Noten ist es zu früh.